Szene aus „All that talking“ von Anna Süheyla Harms, der zweite Teil von "Out of the Box III".

Acht kleine feine Übungen

Gauthier Dance: Out of the box III

Theater:Theaterhaus Stuttgart, Premiere:12.01.2012 (UA)

Sie haben ihn noch nie live erlebt? Schade, dann ahnen Sie auch nicht, was für ein einnehmender Charmeur Eric Gauthier sein kann, wenn er sein Publikum begrüßt – flirtend und frech in ungezwungenem Plauderton ins Stück einführt, so gänzlich anders als die sonst scheu-stumme Choreografen-Zunft.

Ist halt auch ein besonderer Abend, mit „Out of the box III“ im kuscheligen T3, dem zweitkleinsten Saal des Theaterhauses Stuttgart. Gauthier hat gut scherzen, denn ab Januar 2012 steht endlich die lang erkämpfte Förderung für seine Compagnie an: 400.000 Euro bringen Stadt und Land gemeinsam auf – im fünften Jahr des Bestehens ein überfälliger Akt kulturpolitischer Bestätigung für die europaweit strahlende, mit Preisen bedachte (Tanzpreis Zukunft 2011 für Eric Gauthier, der deutsche Theaterpreis FAUST 2011 für Christian Spucks Choreografie für Gauthier Dance „Poppea//Poppea“) und daheim wie auf Gastspielreisen gleichermaßen umjubelte Truppe von mittlerweile zehn Tänzern.

Acht kurze Choreografien stehen auf dem Programm, zwei von Gauthier selbst, sechs von seinen Tänzern – es ist der dritte choreografische Probierabend für sie und man staunt, welche stilistischen Gehversuche und Spreizung der Lebensthemen diese Erstlingswerke schon andeuten. Mit „Toc Toc“ gibt Marianne Illig (Choreografie und Tanz) den Auftakt, ihr quirlig verrenkter Charleston fragt mit Josephine Baker „Qui est là?“ ins ohnehin hellwache Publikum.

Kurzer Umbau, die Lebensfreude ist weggepustet: In „All that talking“ gelingt Anna Süheyla Harms das Kunststück, die großen Ungerechtigkeiten des menschlichen Miteinanders in minutenkurze Szenen zu packen, witzig wie tragisch, mit Solo- und Ensemblenummern: Herein stakst eine händchenhaltende Reihe Angepasster, die Gesichter unter Spitzhüten verdeckt, in Schritten und Gesten ganz homogen hochmütig. Zum Scheitern verurteilt sind da die scheuen Versuche des Außenseiters (Rosario Guerra), Grenzen aufzubrechen, gar Nähe zu finden. Starke Bilder, die neugierig auf ein choreografisches Talent machen.

Armando Braswells „Pretty Ugly“ hingegen – der perfektionistische Wahn einer Schönen gegen ihr Spiegelbild und das Publikum – gerät, trotz wunderbar exaltiertem Spiele von Anna Süheyla Harms – zu langatmig und dadurch plakativ. Braswells zweite Arbeit „Like Water for Chocolate“ kommt nach der Pause flüssiger daher: Im Vorspiel noch klassische Geschlechtertrennung bei Schokoladenkuchenbacken (Anneleen Dedroog) und Zeitung-im-Sessel-Lesen (Florian Lochner), als Hauptgang ein heiteres Duett der zwei Liebenden, im Nachspiel der dröge Rückfall ins Rollenbild.

Durchaus fesselnd gerät „Inbetween…“ von Rosario Guerra, der drei delikat-knapp bekleidete Tänzer (Florian Lochner, William Moragas, Leandër Veizi) geschickt in flüchtigen Lichtbahnen und Soundbrüchen koordiniert, mal brutale Dominanzgesten, mal fast erotische Nähe erzeugt – ein Glanzpunkt des Abends. Die bereits choreografisch erprobte Spanierin Garazi Perez Oloriz steuert „Naked Eyes“ bei: Ein vorsichtiges Suchen und Finden zweier Liebender (Rosario Guerra und sie selbst) voll graziler Gesten, stimmig und berührend.

Beide tanzen auch die (inhaltlich wenig ergiebige) Schlangenbeschwörung „HissStory“ ihres Compagnie-Chefs, temporeich bis zum angedrohten Biss von Garazi Perez Oloriz, die sich athletisch am Hals ihres Partners windet.

Den Abend beschließt Eric Gauthier mit seiner noch fortzusetzenden (und auf der kleinen Bühne ziemlich eingequetschten) Uraufführung „Piano Particles“, eine Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Komponisten Steffen Wick (Piano) und seinem Kompagnon Simon Detel (Elektronik). Gauthiers Plan einer „Fortsetzung der Physik mit anderen Mitteln“ wird zur komischen Mischung aus Elektropopkonzert, Lecture-Peformance und ästhetischen Tanzeinlagen. Auf Spitze tippelt Marianne Illig umher und wirft makrokosmische Fragen in die Dunkelheit, während sich die umherwuselnde Truppe mit Taschenlampen, Ventilatoren und Sprungartistik in Teilchenbeschleunigung übt. Und ehe weiß wehende Tücher die Szenerie zu verkitschen drohen, ist der flinke Spaß vorbei.

Die finale Frage an meine enthusiastische Nachbarin, ob sie denn zuvor schon einen Teil der „Out of the box“-Reihe gesehen habe, wurde mit empörtem Frohsinn beantwortet: „Na selbstverständlich, alle!“