Auf dem Bild: Christine Hoppe (C – Neonazi 1 / Konzertbesucherin / Freundin 2 / Staatsanwältin), Philipp Lux (E – Neonazi 3 / Konzertbesucher / Polizist 2 / Freund 3 / Richter), Sascha Göpel (A – Angeklagter), Karina Plachetka (B – Freundin von A / Vertei

Abziehbilder

Lutz Hübner/Sarah Nemitz: Ein Exempel

Theater:Staatsschauspiel Dresden, Premiere:14.06.2014 (UA)Regie:Jan Gehler

Ein bisschen Pingeligkeit muss sein, immerhin geht’s um Unrecht und Recht; sowie alles, was zwischen dem einen und dem anderen möglich und machbar ist. Also: Nicht über „die sächsische Demokratie“ stellt Lutz Hübner „Mutmaßungen“ an im jüngsten Polit-Stück „Ein Exempel“, uraufführbar nur vor Ort – sondern in erster Linie über Polizei und Justiz im Freistaat; und über die Frage, ob beide potenziell eher blind sind auf dem jeweils rechten Auge.

Die Story basiert auf den strafrechtlichen Folgen politischer Aktionen, wie sie sich im Februar 2011 ereigneten angesichts der regelmäßigen Aufmärsche politisch rechter Formationen im Vor- und Umfeld des Gedenkens an die Dresdner Bombennächte kurz vor Kriegsende 1945. Damals, vor drei Jahren, geriet ein Jugendpfarrer aus Jena ins Visier von Polizei und Justiz, als er (so sah er es selbst) Schlimmeres verhindern wollte und zwischen die Fronten trat. So etwas blieb in Sachsen kein Einzelfall – auch im Vorjahr wieder gingen staatliche Organe drakonisch vor gegen Proteste von links, während (ordnungsgemäß angemeldete) Demonstrationen von rechts geschützt wurden.

Hübner sowie seine Frau und Ko-Autorin Sarah Nemitz erzählen nun von Herrn A., der eher zufällig den Kassendienst übernommen hat beim Multikulti-Konzert im tendenziell linken Kulturzentrum „Die Pumpe“; als vor der Tür rechter Mob zur Konfrontation antritt, tut er, was er für richtig hält: versucht, die mit dummen Sprüchen und Foto-Handys bewaffneten Rechten daran zu hindern, das Konzert zu stürmen. So gerät er auch an die Einsatzkräfte der Polizei, die ihn einer Rempelei und einer über die Köpfe hinweg geworfenen Bierdose wegen als „Rädelsführer“ festnehmen. Die Handy-Schnipsel der Rechten stehen im Netz und gelten als Beweismaterial.

Die offiziellen Folgen: Erkennungsdienstliche Behandlung, strafrechtliche Ermittlungen, Anklage – und schließlich nicht mal ein schneller Freispruch mit Prozesskostenerstattung, als das entlastende Polizei-Video der Aktion auftaucht. Private Konsequenzen: Job weg, Freundin weg, Rechts- und Bürgerbewusstsein schwerst beschädigt – wie Michael Kohlhaas vor dem sächsischen König steht A. am Ende allein. Ein kurzer Auftritt Seiner Majestät steht übrigens tatsächlich am Ende des Stück-Textes; Uraufführungsregisseur Jan Gehler hat die kleine Schlusspointe zum Glück gestrichen. Endgültig wäre das Stück Theater zu Bruch gegangen vor lauter Über-Ambition. Schon jetzt ächzt es beträchtlich unter den bemühten Anleihen bei Kleists vor Rechts- und Rachedurst marodierendem Pferdehändler oder Frank Kafkas Josef K., der sich vor Recht und Gericht auch keiner Schuld bewusst ist. Hübners unschuldiger A. ist naiver als alle beide, weist von Beginn zum Beispiel allen anwaltlichen Beistand ab – weil er ja Recht hat! Dabei hätte wohl jeder Anwaltsgehilfe die zutiefst absurden Fehler der Ermittlung (wie das Stück sie beschreibt) aufdecken und die Eskalation verhindern können. Der helle Wahnsinn dieser Ermittlung ist zumindest vorstellbar – und die Ahnungslosigkeit dieses Delinquenten zumindest fahrlässig.

Darum könnte selbst dann kein scharfes, pointiertes Stück Doku-Fiction entstehen, wenn die Figuren mehr als nur Abziehbilder-Texte in Geist und Mund führen würden: dummerhafte Bullen, wenig hilfreiche Freunde, eifernde Juristen und moderne Neonazis umgeben diesen bedauernswerten Herrn A. – da hat er keine Chance. Das Theater leider auch nicht. Nur solidarischer Beifall ist ihm sicher.