Szene mit Dilara Bastar (Mrs. Smith) und Peter Tantsits (Mr. Smith)

Absurder geht es kaum

Luciano Chailly: Die kahle Sängerin

Theater:Semperoper Dresden, Premiere:16.01.2022Regie:Barbora HorákováMusikalische Leitung:Thomas Leo Cadenbach

Diesmal steht absurdes Theater drüber und es ist auch wirklich drin. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Allein schon der Rahmen hat etwas (ganz und gar unfreiwillig) Absurdes. 

Bei der deutschen Erstaufführung von Luciano Chaillys (1920-2002) 13. Kammeroper „Die kahle Sängerin“, in der SemperZwei genannten Kammerbühne der Semperoper Dresden, haben die 16 Musiker des eigens zusammengestellten Projektorchesters und ihr Dirigent Thomas Leo Cadenbach im Hintergrund der Bühne und die Akteure im Vergleich mit den Zuschauern im Saal die Mehrheit. Nicht einmal das drastisch reduziert zugelassene Platzkontingent ist ausgeschöpft. Man kann wirklich nur hoffen, dass die potentiellen Zuschauer der Oper nicht freiwillig im Lockdown-Modus bleiben, sondern die endlich auch in Sachsen wieder erlaubten Besuchsmöglichkeiten in den hygienischen Hochsicherheitsbereichen Oper und Schauspiel auch wahrnehmen. Wer wegbleibt verpasst etwas.

Ein Stück absurde Oper

Im Falle der ersten Dresdner Opernpremiere nach der jüngsten Zwangspause ist es auch im wahrsten Sinne des Wortes ein Stück absurde Oper. Und das nicht, weil die Regie mit besonderem Eifer eine bekannte Geschichte verbogen oder überschrieben hätte. Diesmal ist das Gegenteil der Fall. Regisseurin Barbora Horáková, Annett Hunger (Bühne), Benjamin Burgunder (Kostüme) und Sergio Verde (Video) haben die Vorlage in ihrer exemplarischen Absurdität sogar ziemlich ernst genommen. So wie der Erfinder des absurden Theaters Eugène Ionesco (1909-1994) mit seinem ersten Stück „Die kahle Sängerin“ 1950, nicht allzu weit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der im Krieg zertrümmerten Vernunft (und auch der Sprache und Kommunikation) den Spiegel vorhält, so hat Chailly daraus eine Kammeroper gemacht und die Bühnenwirkung um die von Musik und Gesang erweitert und verstärkt. Im Stück kommt die titelgebende Vokalistin gar nicht vor. 

Bei Chailly und in der Dresdner Inszenierung sieht man sie auch nicht, aber Mariya Taniguchi steuert am Ende die Vokalisen bei, die der vielseitige Italiener (übrigens der Vater des Gewandhauskappellmeisters von 2005-16  Riccardo Chailly) ihr gegen Ende der 80-minütigen Komposition gegönnt hat. Sinn steuert das zur Handlung nicht bei. Und das schon deshalb, weil es gar keine gibt. 

Very britisch

Das Ganze beginnt mit einem – an Loriots diverse Szenen erinnernden – Alltagsdialog des Ehepaares Smith. Dass alles sehr englisch ist, erklärt Mary, das Dienstmädchen (mit deftiger Übergriffigkeit: Jennifer Riedel), noch vor dem Einsetzen der Musik mit dem pointierten Vortrag der Regieanweisungen. Das Wohnzimmer steht auf Stelzen wie ein Container. Nur gemütlicher – very britisch halt. Mit Kamin(minibildschirm), englisch gemusterten Möbeln und Tapeten. Mr. Smith (herrlich exaltiert: Peter Tantsits), den Eiskühler mit Whisky zur Seite, eine Zeitung vor der Nase und Flamingo-Pantoffeln an den Füßen. Mrs. Smith (als personifiziertes Klischee: Dilara Bastar) trägt Schwanenhausschuhe, plappert und strickt. Woran auch immer. Und sie reden zusammenhanglosen Blödsinn. So wie die Leute ihn eben reden. Dann kündigt Mary brüllend einen offenbar stundenlang verspäteten Besuch an. Der nimmt auf je einer fahrbaren Sofahälfte platz, die aufeinander zusteuern. So wie Mr. (Doğukan Kuran) und Mrs. Martin (Anna Kudriashova-Stepanets). Ihr Dialog beginnt als der von einander fremden Zufallsbekanntschaften und endet in der Erkenntnis, dass man eigentlich im selbem Bett schläft und verheiratet ist. Wenn es wieder an der Tür (die hier zu einem an sich schon witzigen Türenschrank gehört) klingelt, ist es der Feuerwehrhauptmann (Martin-Jan Nijhof), der verzweifelt nach (Lösch-)Arbeit sucht und am liebsten Anekdoten erzählt. 

Am Ende schließlich sitzen – warum auch immer – die Martins  in den Sesseln, in denen vorher die Smiths saßen, die – warum auch nicht – verschwunden sind. Und die kahle Sängerin -– wer auch immer das sein mag – wird wenigstens einmal zu hörbaren Sängerin. 

Musikalisch hat Chailly die Figuren charakterisierende Instrumentengruppen auf die Paare projiziert und verpasst so dem pointierten szenischen Witz einen kommentierenden musikalischen Rückenwind. Beim Ehepaar Smith ist es ein Zupfinstrument-Quintett, bei den Martins ist es ein Streicher-Quintett. Eins mit Bläsern schließlich ist Mary und dem Feuerwehrhauptmann vorbehalten. Der musikalische Untergrund für Absurdität und Chaos an der Oberfläche ist jedenfalls sehr durchdacht. Deshalb funktionieren die 20 Variationen auch so gut und halten die Spannung.  Da es keine Übertitel gibt, wäre man gut beraten, den Text im Programmheft vorher wenigstens zu überfliegen. Es funktioniert aber auch nur mit den (beträchtlichen) Teilen, die man bei der exzellenten Sängercrew gut versteht.

Eine Antioper, die auf einem Antistück beruht, mit einer unsichtbaren Titelfigur vor einem zum großen Teil abwesenden Publikum. Absurder geht es kaum. Vielleicht war das ja ein Moment von aufblitzender Selbstironie des etwas aus dem Tritt gekommenen Zeitgeistes. Damit ließe sich leben.