Foto: Szene aus dem Doppelabend "La Navarraise/Les Boulingrin" am Theater Koblenz. © Theater Koblenz
Text:Andreas Falentin, am 31. Oktober 2011
„La Navarraise“, Massenets 1894 uraufgeführter 50-minütiger Einakter, ist mehr als ein elegantes sich-über-den-Zaun-Lehnen Richtung italienische Verismo-Oper. Junge, mittellose Frau liebt reichen Soldaten, dessen Vater eine hohe Mitgift von ihr verlangt. Um an das Geld zu kommen, bringt sie den General der Gegenseite um. Dafür wird sie von der Männergesellschaft inklusive Bräutigam ausgestoßen. Matthias Schönfeldt schafft es, mit konzis geformten szenischen Tableaux, die dichte und vielschichtige Handlung klar zu vermitteln. Die Inszenierung leidet unter verbrauchten Regietheatermanierismen wie illustrativen Projektionen und zagem Herumschmieren mit Blutfarbe, modelliert die entindividualisierende Mechanik des Militärmilieus aber plastisch heraus. Aurea Marston gelingt mit darstellerischem Furor und stilsicher eingesetztem Mezzosopran ein aufrüttelndes Porträt der von allen Kerlen verlassenen Frau, Enrico Delamboye verschränkt im Graben bezwingend pastellene Romantik mit knallig-martialischem Expressionismus.
Eine deutsche Erstaufführung ist die, 2010 in Paris uraufgeführte, an Ionescus beste Stücke erinnernde Farce „Les Boulingrins“ des griechischen Komponisten Georges Aperghis. Ein Nassauer versucht sich bei einem scheinbar ruhigen und spießigen Paar einzunisten und gerät in einen offenbar schon lange andauernden Ehekrieg, der ihn unter anderem seiner Kleidung und Fassung beraubt. Aperghis’ maschinenartige Musik erinnert stark an die kinetischen Objekte des Schweizer Künstlers Yves Tinguely. Durchgängig brummt, schnarrt und klingelt es in einer Mischung aus Alltagsgeräuschen – etwa aneinander geschlagenen Teetassen – und fragmentiertem musikalischem Material. Im zehnköpfigen, in witzig-eleganten Rüschenblusen angetretenen Orchester mit Klavier, Akkordeon und Saxophon fehlen sämtliche hohen Frequenzen. Die vier fabelhaften Sänger danken es mit tollem Timing und nuanciertem, selten arios aufgebrochenem Sprechgesang. Die Inszenierung von Beate Baron im kackbraunen Spießerwohnzimmer von Katrien Hieronimus wartet mit jeder Menge absurder Gimmicks auf, wie etwa einem unersättlich gierigen Spiegel, der nur von Hana Lees so brillant wie grotesk herumzwitscherndem Zimmermädchen wahrgenommen wird. Am Ende findet die Zimmerschlacht keinen Sieger. Übrig bleibt nichts als lustvoll verbrannte Erde und ein einziges Sektglas, aus dem der souveräne Kapellmeister Karsten Huschke dem enthusiasmierten Koblenzer Publikum zutrinkt.
Als Verbindung zwischen den sehr verschiedenen Stücken stellt sich der rätselhafte Destruktionstrieb des Menschen heraus, der uns immer wieder zur Ausübung körperlicher und besonders seelischer Gewalt treibt. Wer ohne Schuld ist… Ein mutiger, stimmiger und im zweiten Teil sogar komischer Abend im intimen Koblenzer Theater. Zur Nachahmung empfohlen.