Foto: Ulrich Matthes als Banker in "Das Himbeerreich". © Arno Declair
Text:Detlev Baur, am 11. Januar 2013
„Das Himbeerreich“, das sind vier ältere Herren, eine durchsetzungsfähige Frau und ein Fahrer. Sie stehen oder sitzen in Julia Kaschlinskis weitem Silberraum mit zwei großen Aufzügen an den Seiten und berichten vom Bankenwahnsinn. Autor und Regisseur Andres Veiel hat das Stück aus zahlreichen Interviews mit aktiven und ausgeschiedenen Bankern auf diese Figuren verdichtet und so auch die Anonymität seiner Informanten gewährleistet. Sie berichten in der Koproduktion des Stuttgarter Staatsschauspiels und des Berliner Deutschen Theaters, wie die Machtmechanismen an der Spitze großer Banken funktionieren und wie der Wahnsinn unseres Bankensystems entstehen und wachsen konnte. Wir erfahren, dass Goldmann und Sachs griechische Kredite versteckt hat und es überhaupt ums schöne Verpacken fauler Kredite ging und geht. Das klingt informativ und gesellschaftlich höchst bedeutsam, bleibt aber halbherzig und – dem vertrackten Thema gemäß – reichlich abstrakt. Denn die Figuren gewinnen wenig menschliches Profil; selbst Ulrich Matthes als systemkritischer Gottfried W. Kastein, und damit von Anfang an als Außenseiter in der Runde der grauen Anzugträger, bleibt weitgehend ein statischer Nachkarter und Informationsvermittler. Jürgen Huths Chauffeur Hans Helmut Hinz spricht die Szenenüberschriften ans Publikum und kann zuweilen als komischer Erklärer dem Publikum näher kommen. Doch bleibt auch diese Rolle halbherzig entwickelt und das Timing, das wie wir erfahren, auch im Banking von entscheidender Bedeutung sein kann, wirkt etwas müde. Womöglich hätte ein anderer Regisseur als der Autor dem Text durch stärkere Subtexte oder Brüche mehr Leben einhauchen können.
Susanne Marie Wrages Frau Dr. Manzinger ist als einsame Frau und zugleich als rigideste Kapitalistin noch die spannendste Figur in diesem etwas leblosen „Himbeereich“. Und im letzten Teil gerät ein persönlicher Aspekt der Herrscher in den Vordergrund. Der erzwungene Abgang von der Bühne der Bank – und des Lebens überhaupt. Nicht nur können die genannten Akteure sowie Joachim Bißmeier, Manfred Andrae und Sebastian Kowski hier intensiver aufspielen, auch erhält der kahle Raum nun ein Gesicht: als Abschiebestation für gefallene Banker, die noch der Hoffnung nachhängen, wieder gebraucht zu werden. Vielleicht hätte aus diesem Motiv ein anderes Stück werden können. So aber wundern wir uns nicht, dass Gottfried W. Kastein bei der Darstellung der Euro-Fehlkonstruktion wutentbrannt feststellen muss: „Warum wird da keiner wütend?“