Foto: Eva (Birte Leest), Valeria (Shari Asha Crosson), Salome (Gina Calinoiu), Joanne (Fanny Staffa) und Baubo (Ursula Schucht) in "Mit freundlichen Grüßen eure Pandora" © Sebastian Hoppe
Text:Tobias Prüwer, am 20. Januar 2019
„Ich möchte in einer Welt leben, in der ich mich nicht ständig damit beschäftigen muss, Frau zu sein.“ In diesen Schlusssatz gipfelt die Quintessenz des Abends. Jeder und jede hat das Recht, ohne Einschränkungen Mensch zu sein. Und nicht nur Mensch zweiter Klasse, weil sie das deformierte, das andere Geschlecht ist. Zur Frau wird man gemacht – diese weiterhin gültige Einsicht Simone de Beauvoires erhält am Staatsschauspiel Dresden eine eindrucksvoll-mitreißende Verkörperung. Die Uraufführung von Laura Naumanns „Mit freundlichen Grüßen eure Pandora“, inszeniert von Babett Grube, ist eine revueartige Patchwork-Botschaft aus dem Reich des Mythos, die gewitzt mit Jahrtausenden Patriarchat abrechnet.
Fünf Spielerinnen performen das Potpourri und treten zugleich in Rollen auf, die historische bekannte Namen tragen wie Eva oder Salome. Ihre gemeinsame Geschichte bekommt man aber erst zum Ende hin richtig mit – nur Baubo tritt auch als solche auf und entblößt erst einmal ihren Unterleib. Dass die Ebene der Story nicht richtig greift, ist allerdings keineswegs ein Nachteil. Denn das szenische Ineinander von Anklage und Ermutigung, Kritik an Macht- und Blickverhältnissen und das Einfordern von Gerechtigkeit sind für sich stark genug. Das alles findet vor dem ebenfalls auf der Bühne sitzenden Publikum statt, denn die Frauen erobern sich hier und jetzt den öffentlichen Raum, nachdem sie zu lange in Privaträumen zum Kochen und Kinderhüten weggeschlossen waren.
Das Zusammenspiel von klugem Text und fünf großartigen Spielerinnen schafft dichte 90 Minuten, in denen von Liebe bis Hass, Wut- und Freudentränen alles dabei ist. An dieser Stelle verbieten sich Einzellobe, weil diese wieder Zuschreibungen und Zuschneidungen, ergo Reduktionen wären. Absolute Spielfreude wie tiefe Unzufriedenheit mit den Verhältnissen sprechen aus Birte Leest, Shari Asha Crosson, Gina Calinoiu, Fanny Staffa und Ursula Schucht. Alle sind hochpräsent und ihr Spiel ist mitunter von hoher Physis. Mit Verve buchstabieren die fünf die Ikonographien von Weiblichkeit zwischen Hure und Heiliger, von Popkultur bis Wissenschaft durch. Immer wieder erscheint die Frau dabei als das Markierte, das Andere. Sie wird vergöttert und als unberührbar tabuisiert, geschunden und geschändet, verbannt und verbrannt. Regisseurin Babett Grube schafft griffige Bilder für die Übersetzung auf die Bühne. Zu Beginn treten die Spielerinnen als Perchten, wilde Frauen in Fellen auf, die die ungezügelte weibliche Natur zur Schau bringen. Für eine Hochzeitsszene wird ein Scheiterhaufen in Stellung gebracht: an eine Spielerin angelehnte Holzlatten, während sie sich als Pfahl gen Himmel streckt. Zur Geburt hüpfen blutige Bälle und Luftballons von der Decke.
Pünktlich zur Feier von 100 Jahren Frauenrecht, dem Anlass für das Auftragswerk an Laura Naumann, wird so auch dem Ignorantesten deutlich, dass in puncto Geschlechtergerechtigkeit noch einiges getan, wohl erstritten werden muss. Dass dieser Kampf verbunden ist mit der Kritik an Rassismus, an Alters-, Lebens- und Liebesweisen-Diskriminierung, wird nicht allein textlich klar: Das zeigen schon die Spielerinnen, die aus verschiedenen Generationen stammen, verschiedene Herkünfte und Hautnuancen haben. Stärkste Momente der Produktion sind ein chorischer Nein-heißt-Nein-Vortrag und eine schier endlose Aufzählung von Belästigungserlebnissen. Die fünf blättern in einem imaginären Fotoalbum und schildern sich gegenseitig ihre Erlebnisse à la: „Da bin ich 12 und das Bild zeigt, wie der Sportlehrer mich beim Bockspringen berührt – aus Versehen natürlich.“ „Hier bin ich mit 16. Ich tanze und werde von einem Fremden am Hintern berührt. Hier bin ich 30, tanze und werde am Hintern berührt.“ Etc. pp. Über viele Minuten zieht sich diese Anklage hin und macht einfach zornig. Der chorische Vortrag dessen, was Frauen genau meinen, wenn sie „Nein“ (Hint: Nein!) sagen, macht durch seine Intensität direkt betroffen. Klarer kann man das Recht auf Anerkennung, Nichtbelästigung und Unversehrtheit nicht formulieren – verbunden mit Wünschen, wie eine für alle Menschen bessere Welt aussehen sollte. Vieles ist zu tun, bis sich der Schlusssatz bewahrheitet. Aber über das Frauenwahlrecht wurde einst auch mal gelacht.