Text:Michael Laages, am 22. Juni 2011
Sie steht für all das, wovor Eltern ihre künstlerischen Wunderkinder immer warnen – für zu viel Alkohol, zu viele Tabletten, zu viele Männer. Und eigentlich immer die falschen. Dafür aber hatte Judy Garland, 1922 geboren, eine Mutter, die genau wusste, welche olympischen Höhen ihre Tochter erklimmen müsste: die Hügel über Hollywood vor allem. Klein-Judy wird zum Kinderstar, mit fünf Jahren muss sie Schauspiel-Unterricht nehmen, und mit 17 ist sie schon das Mädchen Dorothy in der Verfilmung von Frank L. Baums Zaubermärchen „The Wizard of Oz“. Warum sie nicht fliegen könne bis hinauf über den Regenbogen, singt das Mädchen da – bis dahin aber ist sie schon schon oft zum Abheben gezwungen worden, trabt mit im trüben Trott der Abhängigkeiten, vollgepumpt mit Speed zum Durchhalten und Pillen zum Schlafen danach. Garlands Star-Dasein ist Chaos pur, in jeder Beziehung; und doch bleibt sie ein Idol. Als wir ihr 1969 begegnen in Peter Quilters Stück „End of the Rainbow“, Untertitel: „Judy Garland – ein Leben am Limit“, plant ihr neuester Lover für sie ein großes Comeback, weit weg von Hollywood, in London – doch das Desaster ist unausweichlich. Der Stern stürzt, Judy Garland stirbt, gerade 47 Jahre alt.
Quilters Stück, deutsch erstaufgeführt von Martin Maria Blau an den Hamburger Kammerspielen, ist kein Musical. Zwar stehen die letzten Londoner Konzerte im Mittelpunkt, mit einer guten Handvoll Songs, deren Musik die vorzügliche NDR Bigband eingespielt hat und die auf der Bühne vom Band erklingen, aber davor und danach (und manchmal auch mitten im Konzert, das Garland wegen Drogen-Mangels abzubrechen droht), macht die Szenenfolge uns zu Zeugen eines Kampfes um die wunde Seele der Künstlerin. Auf der einen Seite kämpft der Manager und Liebhaber, der Garland heiraten will und sehr wohl weiß um die Abhängigkeiten wie die finanzielle Höllenfahrt des einst so lukrativen Hollywood-Stars; damit sie durchhält, versorgt schließlich er sie mit dem nötigen Stoff – bis in den Tod. Auf der anderen Seite steht Garlands Pianist, eigentlich schwul und eine reine Seele, voller Hingabe für den Star – bis zur Liebeserklärung. Aber die Droge siegt.
Quilters Text hat beträchtliche Fallhöhen – vom klug gestrickten Dialog bis zur blanken Platitüde. Und der Autor versucht sich einigermaßen freudianisch an der Ursachenforschung für Garlands offene, bis in die Schizophrenie reichende Psychopathologie: die ambitiöse Mutter, die gierigen Männer, der Kulturbetrieb, der der Künstlerin das letzte Quäntchen Energie aussagt. Das wäre sicher beträchtlich interessanter, wenn es mehr Handlungs- und Ideenträger gäbe als nur die beiden so unterschiedlichen Verehrer.
Im Drei-Personen-Ensemble verschärft sich dieses Defizit noch. Denn der Schauspielerin und Sängerin Marion Martienzen, auch jenseits Hamburgs durch regelmäßige Mitarbeit an den Liederabenden von Franz Wittenbrink bekannt, steht mit Thomas Borchert (als Pianist) und Gunnar Titzmann (als halbseidenem Jüngling und Ex-Club-Besitzer, der demnächst Garlands Ehemann Nummer 5 werden soll und will) niemand gegenüber, der wirklich zum Partner auf Augenhöhe werden könnte. Denn keiner von ihnen kann ein Spezialtalent ausspielen wie es Martienzens grandiose Stimme möglich macht; und der Text der beiden Männer ist letztlich zu dünn, wie sehr sich Martin Maria Blaus Inszenierung auch um Profil für alle bemüht – zu wenig Charakter, zu viel Abziehbild.
Was bleibt, ist starke Musik, von Jan-Peter Klöpfel arrangiert für eine hinreißend singende Schauspielerin und die NDR Bigband. Und wer weiß: vielleicht steht am Ende der Spielserie, oder am Beginn der nächsten Saison, auch ein Konzert: Martienzen sings Garland. Mit großem Orchester, und jenseits vom Ragenbogen.