Foto: Die "Herbstsonate" nach Ingmar Berman am Schauspiel Stuttgart © Bettina Stöß
Text:Bettina Weber, am 18. Dezember 2014
Finstere Aussichten sind das in diesem norwegischen Haus. Als Mutter Charlotte nach sieben Jahren das erste Mal wieder ihre Tochter Eva und ihren Mann, den Pfarrer Viktor, zuhause besucht, liegt auf der Hand, dass hier so Einiges aufgearbeitet werden muss. Die erfolgreiche Konzertpianistin und Egomanin Charlotte hat ihre ältere Tochter Eva stets vernachlässigt, die schwer kranke, jüngere Tochter Helena gar in ein Heim für unheilbar Kranke abgeschoben. Die seelisch verkrüppelte Eva sucht nun nach der Konfrontation, und was folgt, ist nicht bloß die Aussprache, sondern ein absehbarer, ausgewachsener Familienstreit. Ingmar Bergmans Film aus dem Jahr 1978 ist ein Kammerspiel, das die psychologischen Verknotungen von Mutter-Tochter-Beziehungen eindringlich und voller Nahaufnahmen ausbreitet.
Die besondere Spannung im Film entsteht in der ersten Hälfte vor allem durch das nicht Ausgesprochene, das zu Erahnende. Auf das, was im Verborgenen lauert, auf dieses Unsichtbare, die durch Sigmund Freud beschriebenen Ursprünge des Unheimlichen im Heim hat es der Regisseur Jan Bosse bei seiner Bühnenadaption am Schauspiel Stuttgart abgesehen. Mit dem Spukpotenzial wird aus der Geschichte ein Horrorfilm, mit dessen er Mitteln er in den gut zweihalb Stunden Spieldauer auch konsequent arbeitet, oder genauer gesagt: Ein Horrortheater. Die kranke Tochter Helena, im Film offenbar von einer Krankheit gezeichnet, die ihren Körper lähmt, wird bei Jan Bosse zur leidenden Geisteskranken. Sozusagen in Fortsetzung seiner „Szenen einer Ehe“-Inszenierung aus dem letzten Jahr – am gleichen Haus – hat er wieder mit dem Bühnenbildner Moritz Müller zusammengearbeitet, der das heimisch Höllische, das haunted house, mit viel Liebe zum Detail in einen verwinkelten, kreisförmigen (und sich immer wieder drehenden) Raumhaufen übersetzt hat, in dem alles Mögliche lauern kann, und in dem Corinna Harfouch als Mutter dann auch gleich mehrmals erschrocken die Orientierung verliert.
Sie schenkt der narzisstischen Frau die nötige Präsenz und erinnert dabei sehr an die großartige Ingrid Bergman, die Mutter-Darstellerin aus dem Film, schält aber auch von Anfang an das lachhaft Kindische heraus, das sich in Charlotte verbirgt. Ihr Verhalten ist in genau dem Maße überspitzt, in dem sie es ihrer Tochter vorwirft. Auch darum geht es: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Nicht nur Helena, auch Eva ist infolge der Kindheit und Erfahrung ein wenig irre, Fritzi Haberlandt verleiht ihr mit ihrer so eigenwilligen wie einnehmenden Spielart auch ein wohldosiertes Maß an trauriger Verrücktheit, und Andreas Leupold als Viktor und Natalia Belitski als Helena zeigen sich als eindringliche, gruselige Nebenspieler. Alle Figuren hat der Regisseur Jan Bosse für die Horrorfolie mal sachte, mal energisch überformt, er schenkt der Geschichte dadurch die nötige theatrale Kraft, die sie auf der großen Bühne braucht. Die Inszenierung gewinnt außerdem dadurch, dass sie sprachlich an den entscheidenden Stellen der Vorlage vertraut.
Hier geht es nicht, wie im Film, vordergründig um die mangelnde Fähigkeit zu lieben, von der Eva ihrer Mutter vorwirft, sie ihr vererbt zu haben. Der tote Sohn Evas – hier immer wieder als lebendiger kleiner Junge zu sehen –, die kranke Helena, der frustierte Ehemann, sie schleichen, ja spuken durch das labyrinthische Haus, lauern und lauschen geräuschlos. Sie machen die Schäden des Vergangenen sichtbar. So ist dieses Haus voller Geister der Vergangenheit, die ausgetrieben werden müssen – hier wird nicht aufgearbeitet, hier wird ein Exorzismus durchgeführt. Auch wenn das merkwürdige Verhalten von allen Anwesenden zunächst noch komisch ist, das Skurrile kann den Schrecken nicht zerstreuen. Im Gegenteil: Während im Film eine Erleichterung einsetzt, wenn Mutter und Tochter endlich offen miteinander reden, ist hier von Anfang bis Ende ein Grauen präsent – vielmehr noch: das Unbehagen steigt beharrlich.