Ersan Mondtags Collage aus "Ödipus" und "Antigone" am Maxim Gorki Theater

ABENDKRITIK: Greise Griechen

Sophokles: Ödipus / Antigone

Theater:Maxim Gorki Theater, Premiere:17.02.2017Regie:Ersan Mondtag

Antigone ist fort, die Angst vor ihr ist aber umso größer. Im kleinen weißen Haus sitzen sie die alten Honoratioren Thebens: Eurydike, Teiresias, Kreon und der un-tote Ödipus; allesamt im feinen violetten Gewand unter weißen Haaren und ergrauten Gesichtern (Kostüme: Josa Marx). Sie alle haben eine horrende Angst vor Antigone, die da draußen gegen das Gebot des Herrschers verstößt und ihren Bruder Polyneikes bestattet und damit Widerstand leistet, womöglich sogar einen Umsturz einleitet. Gezeigt wird diese Hauptfigur in Ersan Mondtags Inszenierung nicht. Nur Ismene (Cigdem Teke) widerspricht anfangs, äußert einige von Antigones berühmten Sätzen wie den vom Mitlieben als Sinn der Existenz. Aber auch der unsichere Tattergreis Kreon (Aram Tafreshian) macht sich in der Textfassung von Aljoscha Begrich und Ersan Mondtag Sätze anderer Gestalten zu eigen. In dieser Umschreibung der „Antigone“ des Sophokles äußert ausgerechnet Kreon (die im Original von seinem Sohn Haimon ihm entgegengehaltenen) Sätze vom lebenslangen Lernen, wenn auch sehr zaghaft. Und (fast) zum Abschluss singt Ödipus (Benny Claessens) das Chorlied „Ungeheuer ist vieles, nichts ungeheurer als der Mensch.“ Es klingt wie ein melancholischer Song von Björk.

Ungeheuerlich ist in „Ödipus und Antigone“, dieser Verbindung der beiden Sophokles-Stücke (samt Vorspielen bei Aischylos und Euripides und dem Zwischenspiel von „Ödipus auf Kolonos“) nicht so sehr die Kraft der Sprache oder Gedanken; ungeheur ist vielmehr der Horror der hysterischen Greise vor Wahrheit und Veränderung. Götter, Staat, Familie oder Individuum spielen in dieser dekadenten Marionetten-Gesellschaft kaum eine Rolle. Allgegenwärtig sind vielmehr Feigheit und Angst, Alter und Falten. Die Konsequenz dieses filmästhetisch und filmmusikalisch (Musik: Beni Brachtel) durchkomponierten Horrorspiels ist überzeugend – das Modellhaus, das sich bald als Sarg des Eteokles entpuppt, erinnert deutlich an Hitchcocks „Psycho“. Der expressive, weibliche Ödipus des Benny Claessens bildet zwar ein starkes Zentrum; besonders anrührend sind die Figuren dennoch nicht, ebensowenig dürfte diese geschickt komponierte 90-minütige Aufführung einen gesellschaftlichen Diskurs anregen oder tangieren. Der untote Ödipus und die absente Antigone bleiben im Maxim Gorki Theater ein kunstvolles Jonglieren mit den alten Griechen – ohne Leben oder wirklich bedrohlichen Tod.