Foto: Hannelore Koch (als ein Faust) und Jan Maak (als Mephisto) mit Pudel im Dresdner "Faust" © Matthias Horn
Text:Detlev Baur, am 28. November 2014
Ein Krankenhaus mit Operationsraum, in dem eine Ärztin (Hannelore Koch) herumdoktert, davor ein Warteraum mit einem ambulanten Kopfverletzten (Tom Quass), einer blassen Besuchergestalt (Torsten Ranft), dann wird in einem Bett ein älterer Mann herein geschoben (Peter Pagel). Diese sprechen Fausts Texte, erst fugenartig ins „Habe nun ach“ einfallend, mit unterschiedlichen Schwerpunkten (Medizin, Theologie oder auch Management), anschließend chorisch , in den folgenden zwei Stunden dann meist szenenweise wechselnd. Vier Darsteller spielen Faust in dieser Dresdner Inszenierung des „Faust 1“. Das ist unterhaltsam, zuweilen verwirrend, wirkt aber immer spielerisch entspannt. Überhaupt ist diese erste Regiearbeit des schwedischen Regisseurs Linus Tunström in Deutschland so kompakt wie leicht,so komisch und ernsthaft, sie wirkt zugleich trashig und charmant. Die Fäuste in ein Krankenhaus zu verlegen und mit einem doppelten Mephisto (Rosa Enskat und Jan Maak) zu konfrontieren, der im ersten Leben Pflegekraft ist, und ihn dann auch noch mit einem Gretchen (Christine Hoppe) zu verkuppeln, dass hauptberuflich im Flur den Gang wischt, ist eine Konzeption, die auch in einer präpotenten Zitatschlacht hätte enden können; zumal der Text Fausts Worte mit Goethes „Zueignung“ neu mischt, die Mephistos auch den göttlichen Prolog im Himmel aufnehmen lässt, oder Gretchen eine kleine Tochter bekommt, die eine Mischung aus verstorbener Nichte und getöteter Mutter sein könnte.
Zahlreiche Details beleben den Raum und das Spiel: da ist ein fast toter, glatzköpfiger, junger Mann am Tropf (Max Rothbart), der auch als Faust mitspielen will, dann aber doch immer wieder stirbt und zur Seite geschoben wird. Da ist ein Raum mit Büropflanzen (Bühne: Esther Bialas), in dem ausgerechnet der männliche Mephisto als schöne Helena im paradiesähnlichen Raum erscheint. Das Dresdner Publikum wird Zeuge einer teuflisch schlechten Casting-Show von vier Heinrichs; in Auerbachskeller, der nur durch einen schalen Goethe-Witz markiert wird, zeigt sich, dass die vier Fausts zugleich die mediokren, ängstlichen Zechbrüder sind. Ein besonderer Furor, eine außergewöhnliche Leidenschaft treibt die unterschiedlichen und in ihren Interessen an der einen Frau so ähnlichen Gestalten gar nicht an. Faustisch unzufrieden mit der Gegenwart ist hier der Normalbürger, ob alt oder jung, Mann oder Frau. Bei allem Reichtum an Ideen und Assoziationen bleibt diese Konzeption immer leicht, und dabei nicht unverbindlich. Die Schauspieler können auch in ihren kurzen Szenen Format entwickeln. Am Ende ist es kein Wunder, dass sich Gretchen – deren Monologe zur Tochter gesprochen eine große Kraft entfalteten – vor den Viertel-Fausts ängstigt. Die sitzen und stehen am Ende genau so da, als wie zuvor. Vom Regisseur Linus Tunström dürfte das nicht die letzte Arbeit an einem großen deutschen Schauspielhaus gewesen sein.