Foto: »Im weißen Rössl«: Daniel Prohaska als Leopold mit Ensemble. © Thomas Dashuber
Text:Wolf-Dieter Peter, am 16. Oktober 2012
Der Jubel war einhellig, „tout Munich“ war da, vor allem die B-Promis aus der „Unterhaltung jeder Art“ – und eine Horde von Paparazzi, die alles blitzten. Am Schluss vor allem den 8o-jährigen Maximilian Schell: doch sein Auftritt als Kaiser strahlte nicht wie ein „Oh!-Knalleffekt über dem übrigen Bühnenfeuerwerk. Vielmehr beeindruckte der alte Bühnenroutinier mit der kleinen Szene, in der er echt war: mit dem Gästebucheintrag für die „Rössl“-Wirtin über nicht wahr gewordene Lebensträume – plötzlich verstrahlte Schells lächelnd resignative Melancholie die Faszination des ganz Leisen im weiten Theaterzelt.
Rundherum aber gab es fast alle Knalleffekte, die zum Stil der Revue-Operette gehören. Josef Köpplinger, der neue „Hausherr ohne Haus“ als Regie führender Intendant, kann sich dabei auf den großen Erik Charell und dessen „Rössl“–Urfassung von 1930 beziehen, die erst vor wenigen Jahren wiederentdeckt wurde. Entgegen der 1951 ja am Münchner Gärtnerplatz erstaufgeführten „netten“ Fassung – für die Peter Alexander als typisch gelten kann – sind in der Urfassung schon viele Österreich-Klischees ironisch versammelt – und Köpplinger setzte noch Etliches drauf. So führte Susanne Heyng als Reiseleiterin in lachhaftem „D-Englisch“ das Publikum als Reisebusgesellschaft an den Wolfgangsee, den Ausstatter Rainer Sinell als satirische Postkarten-Idylle bot: knallblauer Himmel, putzige Schäfchen-Wolken, knallgrüne Wiesen, hin- und hergeschobene Sägezahn-Wellen hinten, in der Rückwand dann noch eine große „3-D-Postkarte“ mit Bimmelbahn und den „Bergen in ihrer weißen Einsamkeit“ (á la Qualtinger als Travnicek) – sprich: samt Jodelmaid, Christel von der Post mit viel „Holz vor der Hütt’n“(Sophie Aujesky), trottelig-urigen Holzhackerbuam, die auch Stallburschen, Hausdiener, Gemeinderäte und Wilderer waren und halbblind schießwütigem Oberförster. Dazu fuhr noch ein Abgas umwehter Bus ein. Der smarte Berliner Rechtanwalt Dr. Siedler von Tilman Unger kam per Spielzeug-Flieger und strahlenden Tenor-Tönen dazu. Durch die Wellen paddelten Touristen, ehe ein großer Schiffsbug die übrigen Berliner und später den Kaiser brachte. Sogar Blitz und Donner spielten mit.
Angesichts dreier Liebespaare tanzten auch mal Amoretten als Liebespfeile verschießendes Ballet durch die träumerisch blaue Szene – und der berüchtigte „Schnürlregen“ hing als Silberfäden aus herabfahrenden Gießkännchen. Über dieser prallen, rasant ablaufenden Show hatte Regisseur Köpplinger aber nicht versäumt, mit seinen Solisten am ebenso sprudelnd wie pointiert gebotenen Dialog zu arbeiten: Wort-Witz-Ping-Pong. Besonders schön: er hatte die ja verwitwete „Rössl“-Wirtin mit Sigrid Hauser durchaus lebenserfahren „herb“ besetzt, aus dem blond gelockten Münchner Klassik-Helden Michael von Au einen spät pubertären Sigismund mit früher Glatze(!) gemacht, ließ um den feschen Zahlkellner Leopold von Daniel Prohaska auch einen Hauch von „Ewigem-Angestellten-Elend“ wehen und die nach Klostererziehung liebesoffene Ottilie von Iva Mihanovic kontrastierte reizend mit dem lispelnd liebeswütigen Klärchen von Bettina Mönch.
Alle sangen auch beeindruckend gut. Dazu standen mit Hans Teuscher als cholerisch Berlin-fixiertem Trikotagen-Unternehmer Giesecke und dem versponnenen Privatgelehrten Hinzelmann von Wolfgang Kraßnitzer zwei herrliche „alte Herren“ den jungen Leuten und einer Fülle von ironisch überzeichneten Nebenfiguren im Wege. Sie alle, aber auch die im Original vorgesehene Blaskapelle, die (klanglich-räumlich-rhythmisch zu weitab sitzende) Jazz-Band und das Zither-Trio führte Dirigent Michael Brandstätter mit viel Sinn für Kontraste, Tempowechsel und auch mal schwelgerischem Sound. Das „obdachlose“ Gärtnerplatztheater zeigte also schmissig unterhaltsames „Jetzt erst recht Theater!“ im großen Fröttmaninger Zirkuszelt: die Fahrt in den Münchner Norden lohnt – es gibt dort viel mehr als Arena-Fussball!