Foto: Clash der Embleme. Der Papst (Nikolay Didenko) vor Laser und Totenschädel im Kölner Kunstdrama "Benvenuto Cellini" © Paul Leclaire
Text:Andreas Falentin, am 16. November 2015
Während der langen, liebevoll und sehr differenziert musizierten Ouvertüre steht der Titelheld auf der Bühne, vom Publikum nur durch einen dunklen Gazeschleier getrennt. Auf diesen werden Auszüge aus seiner Autobiographie, der ältesten überlieferten eines Künstlers übrigens, projiziert, später Abbildungen seiner Werke, ausgelöst von an den Seilen durch den Raum fliegenden Tänzern der „Angels Aerials“, einer freien Gruppe theatralischer Schwerkraftfeinde. Sonst nichts. Kein Vulkanausbruch. Kein spektakulärer Autounfall. Man kuschelt sich erwartungsfroh in die unbequemen Sitze des neuen, durchaus mondänen Opern-Interims im Staatenhaus. Wird das katalanische Performance-Kollektiv La Fura dels Baus wirklich ein Künstlerdrama zeigen? Haben sie die Titelfigur intensiv erforscht? Deuten sie sie gar neu aus?
Nein. La Fura erzählt nicht und interpretiert nicht. La Fura erfindet Bilder, oft nah am oder sogar im Kitsch. Und dann immer wieder voller Rätsel, gespeist aus dem Umfeld und Hintergrund von Werk und Vorlage. So hat auch diese Aufführung einige kraftvolle und sogar wenige umwerfende Momente. Aber dazwischen gibt es immer wieder – Leerlauf. Darunter hat vor allem Ferdinand von Bothmer in der Titelrolle zu leiden. In der hier gespielten Uraufführungsversion ist seine Rolle so mörderisch wie die großen Tenorpartien bei Wagner und Meyerbeer. Abgesehen von leichten Problemen mit dem Registerwechsel singt er gut, hat ein schönes Fundament und eine angenehme, leicht krähende Voix Mixte für die hohen Bereiche. Aber eine Figur, die uns fasziniert, ein charismatischer Künstler vielleicht, der viel gibt, aber noch mehr nimmt, darf er nicht sein. Da steht ein Opernsänger auf der Bühne und kämpft sich durch.
Um den Künstler, um die Figuren geht es dem Regisseur Carlus Padrissa nicht – aber immerhin, zumindest ansatzweise, um die Kunst. Der große Kopf verweist darauf, der immer wieder hereingefahren wird. Er lässt an den berühmten Diamant-Totenschädel von Damien Hirst denken. Dazu viele Stilisierungen in Raum und Kostümen, die sich als kritische Stellungnahme zum heutigen Kunstbegriff und –betrieb lesen lassen. Wenn die Leere dennoch zu groß wird, wird das Geschehen auf die Spektakelebene verlagert – bei den technischen Möglichkeiten des Staatenhauses erstaunlich selbstverständlich umgesetzt, offenbar mit den vereinten Kräften des ganzen Hauses. Da übernehmen am Ende des Theatertableaus vor der Pause fliegende Quallenwesen die Bühne. Geflogen wird überhaupt sehr viel, auch für die Auftürmung eines gewaltigen 3-D-Puzzles, übrigens während des Streiks von Cellinis Arbeitern! Als dieses dann zusammenbricht, kriecht nicht etwa die berühmte Perseus-Statue hervor, sondern zwei futuristisch anmutende Lichtstäbe. Star Wars? Es lebe die Populärkultur?
Erfreulich ist die musikalische Seite. Chor und Orchester musizieren enthusiastisch wie selten. Der neue GMD Francois-Xavier Roth strukturiert das musikalische Geschehen mit kleinen, hochenergetischen Bewegungen. Er formt die fast 3 ½ Stunden Musik mit außergewöhnlichem Nuancenreichtum, scheut allerdings das Spektakel, die extreme Dynamik, den sich in den Vordergrund drängenden Orchestereffekt, so dass an wenigen Stellen von dieser so theatralischen Musik kein Theater-Impuls mehr ausgeht, was vielleicht auch der Premieren-Nervosität oder dem neuen ungewöhnlichen Raum – das Orchester sitzt hinter Bühne und Flug-Show – geschuldet ist. Aus dem sehr gut zusammengestellten Ensemble ragt Nikolay Borchev noch deutlich heraus. Er spielt souverän mit dieser komplexen Musik und wertet Cellinis Gegenspieler Fieramosca mit sicher beherrschten, in der gewählten Fassung extremen Baritonhöhen zur Hauptfigur auf. Emily Hindrichs ist die schlanke, sehr fein timbrierte Teresa, Katrin Wundsam ein überzeugend fraulicher, musikalisch fast verführerisch eleganter Lehrling Ascanio.