Foto: Im Wald der Kastenmasken. Catriona Morrison (Mitte) © Marc Strunz-Michels
Text:Andreas Falentin, am 8. März 2017
Unter ihrem neuen Intendanten Berthold Schneider entwickelt sich die Oper Wuppertal zur charmanten Wundertüte. Nicht jeder Knalleffekt bedeutet automatisch einen Treffer, aber das einstündige, quietschbunte „Pulcinella“ – Spektakel ist auf jeden Fall einer.
140 Schüler aus drei Grundschulen und einer Hauptschule haben die Aufführung gestaltet, haben Videos, Kostüme und Masken entworfen und spielen hingebungsvoll, teilweise sogar solistisch. Vier Tribünen sind um eine Spielfläche angeordnet. Auf einer von ihnen scheint zu Beginn der Dirigent Markus Baisch zu schlafen. Ein Junge weckt ihn, freundlich aber bestimmt, und führt ihn an seinen Arbeitsplatz im hochgefahrenen Orchestergraben. Mit dem ersten Ton füllt sich die Bühne mit jungen Menschen in bunten T-Shirts oder ganz in Weiß. Ein geordnetes Gewusel, wie es sich Strawinsky auf dem von ihm musikalisch imaginierten Marktplatz in Neapel vorgestellt haben mag. In der folgenden Stunde spüren die Kinder der Frage nach, wer und wie dieser Pulcinella, dieser unwiderstehlich charmante Kasper der musikalischen Vorlage wohl sein könnte. Kleine, oft witzige Tanzsoli von Schülern wechseln sich ab mit kürzesten Dialogpassagen, Aufmärschen einzelner Gruppen, darunter ein überraschend präzises Trommelensemble und Spezialeffekten wie die kartongroßen, umwerfend fantasievoll gestalteten Kopfmasken oder der durch Laubbläser gesteuerte Pas de Deux durchsichtiger Folien. Mittendrin drei Ensemblemitglieder der Oper, Catriona Morrison, Mark Bowman-Hester und Oliver Picker. In wilder Kostümierung, als wollte man die Commedia dell’arte in heutige Fantasy-Welten fortschreiben, sind sie die koordinierende Konstante in dem mitreißend kreativen Durcheinander, das die Wuppertaler Sinfoniker spielfreudig begleiten.
„Pulcinella“ ist untertitelt als ‚Educationsprojekt‘. Also sollen im Idealfall alle etwas lernen. Die Kinder lernen den Theaterbetrieb kennen, die Zuschauer – bei der Premiere natürlich hauptsächlich Eltern, Geschwister und sonstige Verwandtschaft – staunt über die kreativen Potenziale der Kinder und freut sich daran. Aber auch der neutrale Beobachter lernt, vor allem zweierlei. Kinder brauchen keinesfalls, wie so oft behauptet wird, narrative Strukturen. Die Schüler greifen Partikel aus Strawinskys Handlungsballett heraus und kombinieren diese mit ihrer Idee vom Klischee „Oper“ und eigenen Assoziationen zu umwerfend sinnlichen Miniaturen. Und Kirsten Uttendorf fasst all diese Angebote zusammen und bietet den kurzen Abend sehr ernsthaft als einziges, fließendes Bewegungsmuster dar. Man weiß nicht immer genau, was gemeint ist, bleibt aber dabei, hat durchgängig Spaß, wird immer wieder angerührt.
Das zweite: Vernetzung in die ganz ‚normale‘ Stadt hinein ist wichtig und offenbar, auch und besonders im Stadttheater, möglich. Berthold Schneider, hier selber auch Produktionsdramaturg, hat schon mit dem mitreißenden Start des Projektes Sound of the City gezeigt, dass es ihm ein Anliegen ist, die kreativen Potenziale der Stadt auf seine Musiktheaterbühne zu holen und geht diesen Weg konsequent weiter. „Pulcinella“ wurde initiiert von der Wuppertaler Musikerin Gunda Gottschalk und dem Sinfonieorchester. An der Inszenierung beteiligten sich neben Lehrern Tänzer vom Tanztheater Pina Bausch und mehrere Künstler aus Wuppertals freier Szene wie der Regisseur Jakob Fedler oder die Malerin Andrea Raak. Ein schönes Projekt für die Stadt, ein starker Impuls für Stadttheaterarbeit!