DdB-Chefredakteur Detlef Brandenburg, Intendant Markus Müller und Bühnenbildner Sebastian Hannak vor der Fassade des Staatstheaters Mainz.

Krisentagebuch 15 – Endlich wieder lebendige Kunst!

Nein, diesmal keine Krisengedanken in diesem Krisentagebuch. Stattdessen erzähle ich Ihnen von einem Erlebnis, dessen Schönheit mir allerdings ohne die Coronakrise kaum zu Bewusstsein gekommen wäre. Ich war zu einem Interview in Mainz, es ging – natürlich! – um Corona und um die Frage, ob man mit dem Problem des nötigen Sicherheitsabstands im Publikum nicht kreativer umgehen kann, als einfach zwei Drittel der Sitze im Auditorium zu blockieren. Meine Gesprächspartner: Markus Müller, Intendant des Staatstheaters Mainz; und Sebastian Hannak, Bühnenbildner.

Wer letzteren kennt, ahnt, worauf das Gespräch zielte. In seinen Raumbühnen für die Oper Halle, für die er 2017 den Deutschen Theaterpreis DER FAUST bekam, hat Hannak die Grenze zwischen Bühne und Auditorium radikal aufgebrochen. Er hat Bühnenlandschaften geschaffen, bei denen Sänger, Orchester und Besucher einen einzigen Raum miteinander teilen. Die Zuschauer sitzen verteilt inmitten des Geschehens, die Sänger agieren inmitten der Zuschauer, das Orchester ist Teil der Bühnenwelt. Wäre das nicht auch eine Lösung für Theaterspielen in Zeiten von Corona? Jedenfalls bieten diese Raumbühnen extrem viel Platz, den man extrem frei gestalten kann.

Näheres zu dieser Frage können Sie im Interview in unserem Juli-Heft lesen. Aber auf dem Weg zum Intendanz-Büro hat Markus Müller uns durchs Haus geführt. Dort entstanden bereits wieder die ersten Produktionen für den Restart nach dem Shutdown. Und ich fand es SO WUNDERBAR, durch ein Theater zu laufen, in denen Künstler bei der Arbeit sind!

Im Großen Haus probte der Regisseur Jan-Christoph Gockel für „Beethoven – Ein Geisterspiel“. Ursprünglich sollte das mal ein aufwendiges spartenübergreifendes Projekt zu Beethovens 250. Geburtstag werden, Anfang Mai sollte die Uraufführung sein. Dann kam Corona – doch das Theater reagierte kreativ, Gockel sowie Generalmusikdirektor Hermann Bäumer gestalteten die Proben um, Markus Müller konnte ZDF/3sat als Kooperationspartner gewinnen.

Gemeinsam entwickelten Theater und Sender das Projekt so weiter, dass die Premiere als Theatervorstellung im Fernsehen gezeigt werden kann. Und das Leitmotiv der zunehmenden Isolation, das sich in Beethovens Leben findet, bot sich als fruchtbare Parallele zur Gesellschaft im Corona-Zustand an. Uraufführung ist am 14. Juni um 11.40 Uhr auf 3sat, als Vorab-Online-Premiere stellen 3sat und ZDFkultur das Stück bereits am Samstag, 13. Juni um 19.30 Uhr online auf https://3sat.de und https://zdfkultur.de.

Nebenan im Kleinen Haus probten K.D. Schmidt und sein Team für „Tage des Verrats“, ein Stück nach einem Politthriller von Beau Willimon, der auch die thematisch ähnliche Netflix-Serie „House of Cards“ erdacht hat. Das Stück stammt aus dem Jahr 2004 und basiert auf der Kampagne zur Kandidatenwahl für das Präsidentenamt des Gouverneurs Howard Dean aus demselben Jahr. 2011 wurde der Stoff von und mit George Clooney unter dem Titel „The Ides of March“ verfilmt. K.D. Schmidt hat mit dem Ensemble einen künstlerischen Weg gefunden, „Tage des Verrats“ Corona-kompatibel zu inszenieren, am 7. Juni feiert diese Deutschsprachige Erstaufführung in Mainz Premiere.

Nun kann man natürlich sagen: Was ist das denn für ein Krisentagebuch – am Theater wird geprobt, na und?! Ist doch kein Grund, gleich sentimental zu werden… Vielleicht nicht – vielleicht aber doch! Ich hatte fast vergessen, wie animierend es ist, diese Atmosphäre zu erleben, in der Theater entsteht. Und wie sehr sie mir gefehlt hat. Deshalb sollten wir es dem Virus nicht erlauben, uns diese Welt der Kunst zu nehmen. Ich erspare mir jetzt den Begriff „systemrelevant“. Aber wir wären ohne diese Welt um vieles ärmer. Es lohnt, für sie zu kämpfen! Daran hat mich mein Streifzug durchs Theater Mainz erinnert.