Das renovierte Düsseldorfer Schauspielhaus

Krisentagebuch 13 – 128 Plätze im großen Haus

Jetzt ist das Theater endgültig im Realismus angekommen, nicht in dem auf der Bühne, der ja seit fast zwei Jahrzehnten quasi offiziell out ist, sondern in der Lebenswirklichkeit. Das heutige Online-Pressegespräch des Düsseldorfer Schauspielhauses gewährt nicht nur mir einen ersten, sehr konkreten Blick in eine neue Theaterwirklichkeit, die uns Monate, wenn nicht länger, begleiten wird. Diese Entwicklung mag unausweichlich sein – und schmerzt. Auch wenn jedes Theater, all die Menschen, die sich ihr stellen, große Anerkennung verdienen. Denn wie schwer es ist, über eigene Schatten zu springen, weiß ja jeder aus eigener Anschauung.

„Wir haben uns aus einer Depression herausgearbeitet.“ So beschrieb Wilfried Schulz, der Intendant des Schauspielhauses Düsseldorf, heute Morgen den Zustand seines Hauses – und selbstredend seinen eigenen. Man versteht ihn gut. Das Theater hat Kraft schöpfen müssen, so viel ist neu, anders, muss umgeplant werden. Vorstellungen, wie Theater ist oder sein soll, spielen keine (große) Rolle mehr. In den dieser Tage beginnenden Proben für die nächste Spielzeit geht es zunächst darum, wie man künstlerisch arbeiten kann,  wenn sich die Schauspielerinnen und Schauspieler, die Technikerinnen und Techniker nicht näher kommen dürfen als die inzwischen schon fast sprichwörtlichen ein Meter fünfzig.

„Das Abstandsgebot gilt. Und das ist gut so“, sagt Schulz. Das ist nicht nur das Ergebnis seiner Gespräche mit dem 25-köpfigen Aufsichtsrat seines Hauses, in dem die Stadt und das Land Nordrhein-Westfalen prominent vertreten sind. Es scheint auch die persönliche Überzeugung des Intendanten zu sein. Auf die Frage, warum er diese Spielzeit gar nicht mehr spielen würde, auch nicht im Stadtraum, deutet Schulz einerseits an, dass es vielleicht doch noch die eine oder andere gemeinsame Aktion Düsseldorfer Kulturschaffender geben könne, sagt aber auch, es sei vielleicht „im Moment nicht das richtige Zeichen, Anlässe für Zusammenkünfte auf der grünen Wiese zu schaffen.“

Es geht dem Intendanten vor allem darum, den Betrieb in einem großen Stadt- oder Staatstheater überhaupt zu ermöglichen – unter der Prämisse, mindestens bis Ende des Jahres an die durch das Virus bedingten Beschränkungen gebunden zu sein. Das beginnt mit den genannten Beschränkungen der Probenarbeit, einer Verschlankung des Repertoires, teilweiser Umstellung auf En-Suite-Betrieb und dem vorläufigen Verzicht auf ein Spielplanheft. 128(!) Besucherinnen und Besucher werden Platz im großen Haus finden, das eigentlich knapp 750(!) Plätze bietet. Jede zweite Reihe wird freibleiben, in den anderen kann jeder dritte Sitz vergeben werden. Ausnahme: sogenannte Love Seats für Paare oder Familien, die dadurch, eine merkwürdige Corona-Nebenwirkung, zum Zielgruppendesiderat werden. Allerdings ist noch nicht klar, wie Love-Seat-Buchungen vom Reservierungssystem verarbeitet werden können. Im kleinen Haus und der Nebenspielstätte Unterhaus kann vorläufig gar nicht gespielt werden, weil so wenig Zuschauer hineindürften, dass sich der Aufwand einer sorgfältig geplanten Neuproduktion nicht darstellen ließe. Dennoch wird man, um die Sicherheit des Publikums, ob nun mit Masken oder ohne ist derzeit noch offen, in jedem Moment zu gewährleisten, das Vorderhauspersonal aufstocken müssen.

Und das alles unter der bangen Frage, ob überhaupt jemand kommt. „Sind die Leute ausgehungert nach Theater oder wollen sie einfach kein zusätzliches Risiko auf sich nehmen? Wir wissen es nicht“, sagt Schulz, der sich natürlich möglichst viele Zuschauer wünscht für seinen Spielplan, der von „Mutter Courage“ bis zum neuen Stück von Reinald Goetz reicht und damit die aktuelle gesellschaftliche Situation durchaus widerspiegelt.

Zumal das Haus am Gustaf-Gründgens-Platz noch einer besonderen Tragik unterliegt: Die jahrelange Renovierung ist fast endgültig abgeschlossen. Das Haus wird im Herbst 2020 nach langer Zeit wieder voll funktionstüchtig sein. Eigentlich sollten bereits im Frühjahr die Foyers auch tagsüber der Öffentlichkeit zugänglich sein, um zu dokumentieren, dass sich das Haus sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln noch viel stärker als vorher in die Stadtgesellschaft öffnen will. Das wird auf längere Zeit nicht gehen, zumindest nicht physisch.

Immerhin haben Schulz und sein Team ihre Hausaufgaben gemacht. Ab September kann wieder regelmäßig Theater gespielt werden am Haus, „es sei denn, der Himmel fällt uns auf den Kopf.“ Aber die Perspektive, bestenfalls 20 Prozent der eigentlichen Platzkapazität nutzen zu können, ist durchaus erschreckend. Abgesehen von anderen Informationen, die Schulz während der Pressekonferenz fallen lässt. So hat es, offensichtlich schon lange vor den forschen Öffnungsverlautbarungen des Ministerpräsidenten Laschet, eine Übereinkunft zwischen Stadt, Land und den großen Stadttheatern in NRW gegeben, dass diese Häuser in der Spielzeit 2019/2020 nicht mehr spielen werden. Was Laschet in seiner Lockerungseuphorie offensichtlich entfallen war. Und Opernhäuser werden zumindest „richtige“ Inszenierungen unter den jetzt in Düsseldorf festgelegten Bedingungen auf Sicht gar nicht zeigen können. Weil die Abstandsregelungen für Chor und Orchester so viel Raum in Anspruch nähmen, dass überhaupt kein Publikum mehr ins Theater passen würde. „Dann schläft die Oper eben“, soll Barrie Kosky, der Intendant der Komischen Oper Berlin dazu geäußert haben. Finstere Aussichten.

Und doch: Es wird gespielt. Auf Sicht und ziemlich sicher. In Düsseldorf und anderswo. Wilfried Schulz vermutet sogar, durch die Krise entstünden „ästhetische Herausforderungen, die interessant sind.“ Hoffen wir drauf. Und schauen wir es uns an.