To BTHVN oder not to BTHVN? – Der Blog zum Jubiläum I
Foto: Ach, armer Ludwig... Andreas Falentin schaut auf Ludwig van Beethoven © Detlev Baur/Die Deutsche Bühne Text:Andreas Falentin, am 16. Januar 2020
Der Blog zum Beethoven-Jubiläum, Teil I
Es ist jetzt einen Monat her, dass die Beethoven Jubiläums AG Deutschlands beliebtestem Komponisten per Marketing-Osmose die Vokale seines Zunamens entzogen hat. Anders gesprochen: Die Spiele haben begonnen.
Und weil so viele dabei mitmachen, fühlen auch wir uns bemüßigt, nicht nur zuzuschauen, sondern unseren, in diesem Fall: meinen, Senf dazuzugeben. Die Fragen sind ja klar: Welchen Sinn kann ein so vielstimmiger wie kostspieliger zwölfmonatiger Jubel überhaupt haben? Natürlich abgesehen davon, dass er eine Zeit lang zwei Hände voll Werbefachleute ernährt oder ein paar Leute mehr in die Kirche kommen, weil die Orgel unter anderem gerade Beethoven spielt. Was könnte sich überhaupt verändern an Beethovens Bild und seiner Bekanntheit?
Im Konzertprogramm der deutschen Orchester ist er seit langem präsent wie kein anderer Komponist, auch ein Klavier-Abo ohne ein einziges Beethoven-Programm ist heutzutage kaum denkbar, und selbst seine einzige, in vieler Hinsicht problematische Oper „Fidelio“ lassen pro Spielzeit regelmäßig fünf bis acht Theater neu inszenieren. Gibt es dennoch neue Seiten an Beethoven zu entdecken? Und wem will man die eigentlich präsentieren?
Ein erster Blick auf die bei BTHVN2020 und anderswo gelisteten Programme stimmt kaum euphorisch. Natürlich wird Beethoven für Waldspaziergänge oder Bastelnachmittage zweckentfremdet. Und es gibt einige gemütvoll-verschrobene Experimente im ländlichen Raum, denen die übernächste Ausgabe dieses Blogs gewidmet sein soll. Sonst geht es inhaltlich fast überall um das, worum es bei Beethoven von jeher geht: Freiheit und Taubheit. Dazu lässt sich die überwiegende Mehrzahl der Jubel-Events in zwei Kategorien einordnen: Repräsentative Penetranz oder wirkungsorientierte Innovation. Zur ersten Kategorie gehören die vielen zyklischen Aufführungen der Sinfonien oder die prominent besetzten konzertanten, halbkonzertanten oder nur für eine Handvoll Aufführungen inszenierten „Fidelios“ in Dresden, Essen, Berlin oder Baden-Baden. In der zweiten Kategorie versucht man mit dem Etikett Beethoven über diesen hinauszugehen oder gar ihm zu entkommen.
Zwei Beispiele vom Neujahrstag: Unter dem rasend originellen Titel „Tatatataa“ huldigte der Fernsehsender 3SAT ab 6 Uhr morgens dem Anlass, indem er alles verfügbare Material aus den Archiven kratzte, von Karajan bis Jonas Kaufmann, von Crossover bis Doku. Schaut das einer, der Beethoven noch nie live gehört hat? In der Bonner Oper hatte am selben Tag „Fidelio“ Premiere, inszeniert vom Schauspiel-Sprechchor-Guru Volker Lösch. Er ließ sich vom Inhalt inspirieren, die Oper mit der aktuellen politischen Situation in der Türkei kurzzuschließen und holte „Zeitzeugen“ auf die Bühne, Opfer von politischer und vor allem rechtlicher Willkür, deren Geschichten wichtig und dringlich sind. Zwischen ihren Statements gab es Beethoven, dessen Musikdramatik sich, trotz stupender musikalischer Interpretation, in diesem Kontext nicht behaupten konnte. Aus zwei wurde nicht eins, das Kunstwerk geriet, trotz spannender Ansätze, unter die Räder der Tagesaktualität, wie ich hier versuche dazulegen. Der Erfolg beim Publikum ist dennoch (oder deshalb) groß, es wurden bereits Zusatzvorstellungen anberaumt.
Wie man aus alldem nicht zu schwer heraushören kann, war ich anfänglich kein Verfechter der Idee, Beethovens 250. Geburtstag bis zur Unkenntlichkeit aufzublähen. Und doch bin ich bereits am zweiten Tag hineingeraten in dieses Jubiläum. Und habe mich tatsächlich daran erfreut.
Ich besuchte, sozusagen privat, einen Klavierabend in der Kölner Philharmonie. Der Pianist Herbert Schuch spielte Brahms, Clara und besonders Robert Schumann auf sehr hohem Niveau. Nach der Pause stand ein zweiter Flügel da, offen und irgendwie ausgeschlachtet und gemeinsam mit Schuch traten die Percussionisten Johannes Fischer und Dirk Rothbrust auf und führten „Cartilago auris, magna et irregulariter formata“ von der Komponistin Lucia Ronchetti urauf. Schuch saß am Klavier, die Kollegen turnten drum herum, lagen auch mal drunter. Und es ereignete sich Musik – und, durch die Kommunikationsakte, die oft dezent ironisierten Versuche, miteinander Töne zu produzieren oder sich gegenseitig an der Tonproduktion zu hindern, auch Theater. Ein knapp 20-minütiges, witziges und spannendes Kabinettstück, dem es zudem gelang, das Publikum in Begeisterung und Wut aufzuspalten. Es ließ also nicht kalt. Obwohl es sich wieder mal absichtsvoll mit Beethovens Taubheit befasste, ihm also seine nicht mehr funktionstüchtigen Ohren wieder mal um die Ohren gehauen wurden.
Warum das hierhergehört? Die Komposition von Ronchetti ist Teil des non bthvn projekts der Kölner Philharmonie. Dessen Idee: Die Philharmonie erklärt sich für das Jubiläumsjahr zur „Beethoven-freien Zone“ und füllt den so entstehenden Raum in den Konzertprogrammen mit 25 Kompositionsaufträgen. Jedem der Komponisten wird ein Satz aus Beethovens Konversationsheften mitgegeben und der Auftrag, sich auf seine Musik und Persönlichkeit zu beziehen, ohne ihn zu zitieren oder zu imitieren. Die Liste der Aufträge lässt teilweise Großes hoffen. So wird etwa York Höller eine neue Komposition für Streichquartett vorlegen. Die Hoffnung der Philharmonie scheint nicht zu sein, dass Beethoven von der Lücke, die er unfreiwillig ins Programm reißt, ersetzt wird. Aber vielleicht vermisst man ihn ja doch. Und schafft gerade damit ein Verständnis für das Besondere seiner Kunst. Und eben Neues, was vielleicht im Konzert- (und sogar Theater-)betrieb zumindest teilweise produktiv wird, also irgendwann vielleicht auch mal mit Beethoven in Beziehung tritt.
Diese Idee gefällt mir. Ich werde das Jubiläum weiter beobachten, als Schatzsucher wie als Chronist. Und wünsche Ihnen bis dahin viel Freude an Musik und Theater – nicht nur von Beethoven.
Ihr Andreas Falentin
P.S. Hier soll immer je ein Medien- und ein Veranstaltungshinweis stehen. Beginnen möchte ich mit der Einspielung der Schauspielmusik zu Goethes „Egmont“, die Dirk Kaftan und das Beethoven Orchester Bonn mit dem Schauspieler Matthias Brandt vor einem Jahr bei MDG vorgelegt haben. Klares Klangbild trifft knisternde Spannung. Da kommen die ganz neuen Beethoven-Exegesen nicht mit! Und wo wir gerade in Bonn sind: Da hat am 8. Februar ein höchst ungewöhnliches Projekt Premiere am Theater. Tanzlegende Reinhild Hoffmann kombiniert Beethovens Oratorium „Christus am Ölberge“ mit einer Neukomposition von Manfred Trojahn, die sich mit Hugo von Hofmannsthals berühmtem „Chandos-Brief“ befasst. Wo mag die Verbindung sein? Das Nachspüren wird vermutlich lohnen!
P.P.S. In vier bis sechs Wochen lesen wir uns wieder. An dieser Stelle. Und mit Beethoven.