Die Beethoven-Plakette in Kerpen, Ecke Kölner Straße/Hahnenstraße

Beethoven schweigt (nicht mehr) – der Blog zum Jubiläum III

„Beethoven ist eine Riesen-Herausforderung, mit der ich jeden Tag versuche klarzukommen und an der ich hoffentlich auch wachse. Man muss sich Beethoven immer wieder neu erschließen, erarbeiten, erfühlen, sich ein Bild zusammensetzen aus diesen Noten, diesem Gekritzel auf Papier, um etwas zu finden, um dem gerecht zu werden, was er gesendet hat.“

Das sagte mir Dirk Kaftan, der Generalmusikdirektor von Beethovens Geburtsstadt Bonn und Chef des Beethoven Orchesters, bei einem Gespräch im Februar, das mich sehr beeindruckt hat, weil ich hier kompromisslose Ernsthaftigkeit und unverkrampften Enthusiasmus antraf – was beides zusammen in der Welt der klassischen Musik zumindest eine Erwähnung wert ist.

Ich war damals entschlossen, mich diesem klassischen Genie – Herrn Beethoven, nicht Herrn Kaftan – neu und sozusagen tiefer zu stellen. Schließlich wollte ich mit diesem Blog, der es auf etwa zehn Ausgaben bringen sollte, nicht nur DIE DEUTSCHE BÜHNE mit möglichst viel Esprit auf dem Jubiläumszug mitfahren lassen, sondern sah auch für mich persönlich die Möglichkeit, Relevanz neu zu erkunden, einfach zu fragen: Ist der Beethoven wirklich so gut? Und woran mache ich das fest, wenn ich mich nicht generell auf den „Zauber der Musik“ zurückziehen will? Und wie schaffe ich es, andere Leute mitzunehmen oder vielleicht zu begeistern; das Genie produktiv zu machen außerhalb des Elfenbeinturms, sozusagen in den kulturellen Vorgärten und Etagenwohnungen, halt da, wo ich hinkomme über die Kanäle, die mir zur Verfügung stehen?

Etwas mehr als drei Monate später will ich in erster Linie aus der Sprachlosigkeit herauskommen, vielleicht einfach mal Freude an einem Erlebnis weitergeben, das ich genossen habe, oder einen Scherz machen, ohne darüber nachdenken zu müssen, ob ich mich gerade auf durch die Virus-Katastrophe eingezäuntem und verzwergtem, vermintem Konsens-Gelände befinde.

Was nicht stattfand

Am 7. März wollte ich in Bergheim (ein paar Kilometer westlich von Köln) BeethovenWerk besuchen. Dieter Kirchenbauer, ein im Bergheim umgebenden Rhein-Erft-Kreis ansässiger Musiker, wollte hier Beethoven auf Kraftwerk, klassische auf Electro-Musiker prallen lassen, in einer Art Happening mit performativer Ausrichtung. Zwei Tage vor der Veranstaltung sagte er diese ab. Ansteckungsangst, vielleicht auch Versicherungsrecht. Das Ganze wurde auf August 2020, mittlerweile auf September 2021 geschoben, wird also ohne jeden Jubeljahr-Rückenwind stattfinden, wenn überhaupt. Ich ging damals frustriert essen, natürlich ohne zu wissen, dass auch das bald für lange Zeit lang eine reine Wunschvorstellung sein würde.

Das BeethovenWerk war ursprünglich ausersehen, das Zentrum der für Ende März geplanten dritten Folge des Beethoven-Blogs zu bilden. „Beethoven auf’m Dorf“ war der Arbeitstitel. Ein launiger Spaziergang durch deutsche Dörfer und Kleinstädte von Nieheim-Holzhausen bis Zeulenroda-Triebes, von Öhningen bis Uhlstädt-Kirchhasel sollte es werden. Kennen Sie nicht? Zumindest die kulturelle Energie, mit der sich Menschen, Vereine, Kulturämter für ihre dörfliche Umgebung Ausstellungen, Picknickfestivals, Waldspaziergänge zum Mitsingen, installative Lesungen oder Orgelkonzerte mit Beethoven-Grundierung haben einfallen lassen, hätten Sie kennengelernt. Dazu wollte ich eine kleine Geschichte erzählen von Beethoven und der Familie Breuning in Kerpen (auch in jenem Rhein-Erft-Kreis gelegen, in dem ich, manch einer wird es erraten habe, auch wohne), wo das junge Genie gerne zur Sommerfrische hinfuhr und eine junge Frau kennenlernte, die vielleicht Vorbildfigur für die Leonore im „Fidelio“ war, vielleicht auch Namensgeber für „Für Elise“, wenn das überhaupt von Beethoven ist, was ja heutzutage die eine oder der andere nicht mehr so genau weiß. Das Haus, das Beethoven gastlich aufnahm, gibt es übrigens nicht mehr in Kerpen, eigentlich gar nichts, das mit Beethoven irgendetwas zu tun hat, Jubiläum hin oder her – außer einer repräsentativen Plakette (siehe oben) neben dem lokalen Kindermoden-Laden.

Auch kein „Fidelio“

Im April wäre es dann – Folge 4 – um „Fidelio“ gegangen. Denn der sollte im Frühjahr ja nahezu überall gespielt werden, unter anderem von den Berliner Philharmonikern in Baden-Baden, inszeniert von Mateja Koleznik und dirigiert von Kirill Petrenko. Die vielen Aufführungen – oder gerade diese, die ich besuchen wollte –  hätten vielleicht helfen können, dem Geheimnis dieses einzigartigen Opernrätsels näherzukommen, das einen immer anrührt. Und immer ärgert.

Es gab also nichts mehr, zumindest nichts von Beethoven, über das sich hätte berichten lassen. Hat man sich stattdessen mit geschlossenen Augen in den heimischen Sessel geschmiegt und Beethoven gehört? Man vielleicht. Ich nicht. Ich war damit beschäftigt, stets aufs Neue auf irgendwelche Zahlen zu warten und mit dem Homeoffice zu hadern, in dem es dennoch sehr viel zu tun gab, weil wir uns als Theaterzeitschrift erstmal neu (er)finden und dafür neue Gesprächswege entdecken mussten in der digitalen Wildnis. Ich regte mich auf über das wochenlange Schweigen der Theater in der Öffentlichkeit, verkroch mich aber persönlich zuhause in die Gartenarbeit und nahm die selbst gestellte Herausforderung Beethoven gar nicht mehr wahr, hatte schlicht nicht genug Lust und Erkenntnisinteresse, um seinetwegen Überstunden zu machen.

Lebenszeichen

Und dann, noch nicht lange her, las ich ihn plötzlich wieder, den Namen Beethoven. Hörte, dass das Staatstheater Mainz es geschafft hat, dass „Beethoven – ein Geisterspiel“, ein groß dimensioniertes Projekt von Jan-Christoph Gockel und Hermann Bäumer, seine Premiere auf 3Sat feiern wird. Jawohl, im Fernsehen. Dass das unermüdliche Zimmertheater Tübingen sich mit einer um Beethovens Biographie kreisenden Performance langsam seinem Normalbetrieb annähert. Dass das Theater Krefeld Mönchengladbach einen Beethoven-Film plant und in der Corona-Not aus einer Lesung, einer Sonate und einem Tanz-Duett von zwei Menschen, die auch im realen Leben ein paar sind, einen Beethoven-Abend montiert hat. Dass Nico and the Navigators erste Fragmente ihrer Beschäftigung mit Beethoven im Konzerthaus Dortmund zeigen werden. Und Novoflot Teile seines auf Dezember verschobenem „Fidelio“-Projekts im Labor Beethoven 2020 der Akademie der Künste veröffentlicht. Und alles in den nächsten Tagen! Dass also das Jubiläum tatsächlich wieder anfängt, kulturelle Dominanz auszuüben, was nur geht, weil die Theater beginnen, sich da, wo es erlaubt ist, mit aller gebotenen Vorsicht wieder vor ihr Publikum zu wagen.

Und auch ich selbst habe wieder bewusst Beethoven gehört, nämlich die neue Aufnahme der fünften Sinfonie von Teodor Currentzis, Publikumsmagnet und Enfant terrible der Dirigenten-Szene, und seinem Orchester MusicAeterna (bei Sony). Davon hatte ich digital schon mal ein paar Noten akustisch zu mir genommen und damals gedacht: „Ach ja, der Currentzis will es wieder machen wie keiner vor ihm. Vielleicht nicht wirklich der Beethoven, den man so kennt, aber bestimmt hörenswert.“ Eine stille Stunde Zuhören, zu der ich jetzt wieder in der Lage bin, half mir, dieses Urteil zu revidieren. Eigenwillig ist er, der Currentzis, natürlich, auch hier, aber ich höre kaum Musik. Beethovens Phrasen verschwimmen mir ineinander, ihre Kanten und Steigerungen verfaulen mir im Gehörgang. Und es ist auch nichts stattdessen da. Wieder frage ich mich: Was genau haben die da eigentlich verfehlt? Die Noten sind doch eigentlich alle da…

Spaß und Verantwortung

Womit wir wieder am Anfang wären. Was ist das Große, Außergewöhnliche, das selbst Kulturflüchter sich an „Ta-ta-ta-taah“ und „Freude schöner Götterfunken“ erinnern lässt, wenn sie es einmal gehört haben, an Beethoven an und für sich?

Für Dirk Kaftan ist Beethoven ein „Gradmesser (…), „dafür, ob wir es schaffen, mit dem, was wir hier tun, ein kleines bisschen beizutragen, dass sich die Welt ändert und ob wir rein musikalisch dieser gewaltigen Vorlage gerecht werden. Das schafft man nicht, indem man Beethoven nur anbetet und in Ehrfurcht versinkt. Man muss es anfassen, spürbar machen.“ Was Currentzis natürlich auch wollte. Vermutlich.

Langsam wachsen uns wieder Mittel und Möglichkeiten zu, so etwas zu versuchen. Künstlerinnen, Künstler, Publikum. Auch Journalisten. Gemeinsam. Denn darauf kam es Beethoven, der persönlich wohl oft sehr einsam war, vielleicht doch an. Da bin ich im Moment gerade ganz sicher.

Was man nie vergessen sollte, bei all diesen Grübeleien über die Kunst, die Schönheit, das Leben, über edle Einfalt, stille Größe, Wände einreißen und die Folgen, ist der Spaß. Und das können die Kolleginnen und Kollegen im englischen Sprachraum, sogar mit Beethoven, aus meiner Sicht besser als wir, wie hier die Muppets oder Monty Python (in fremden Zungen, aber dafür in miserabler Bildqualität) zeigen.       

Das war es jetzt. Mein Krisentagebuch samt Zwangspausengedanken und ungeschriebenen Texten im Schatten Ludwig van Beethovens. Und jetzt schaue ich einfach mal optimistisch nach vorne und nehme seine Fährte wieder auf. Vielleicht erlebt dieser kleine Blog so noch die eine oder andere Fortsetzung. Wenn Sie sie lesen wollen, selbstverständlich, was Sie mir unter falentin@die-deutsche-buehne.de sehr gerne mitteilen dürfen.

Vor allem aber: Lassen Sie es sich nicht verdrießen.

Ihr
Andreas Falentin

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