Zum Tod von Michael Börgerding
Foto: Michael Börgerding © Pia Feldmeyer Text:Detlef Brandenburg, am 13. Januar 2025
Der Generalintendant des Theaters Bremen, Michael Börgerding, ist nach schwerer Krankheit mit nur 64 Jahren verstorben. Ein Nachruf.
Die Nachricht vom Tod des Bremer Intendanten Michael Börgerding bleibt auch dann noch ein tiefer Schock, wenn man eigentlich schon von seiner schweren Krankheit wusste, die es ihm längst verwehrt hatte, sein Amt noch auszuüben. Und wenn man bereits die Einschätzung gehört hatte, dass er vielleicht „nicht mehr zurückkommen“ werde. Das ist nun Gewissheit. Am gestrigen Morgen ist Michael Börgerding im Alter von 64 Jahren verstorben.
Welch ein Verlust: für das Theater Bremen, für sehr viele Menschen persönlich (auch den Verfasser dieser Zeilen), und angesichts dessen, was Börgerding am Theater Bremen erreicht hatte, ganz sicher auch einer für die Theaterszene insgesamt. Was Börgerding da Spielzeit für Spielzeit herausgebracht hatte an der Weser, war richtig gutes Stadttheater und vorbildlich weit über Bremen hinaus.
Das war nicht unbedingt absehbar gewesen, als Börgerding 2010 von der bemerkenswert umsichtigen Bremer Kultur-Staatsrätin Carmen Emigholz in die Intendanz des Bremer Theaters berufen wurde, wo er 2012 seine erste Spielzeit begann. Bis dahin war Börgerding quasi gelabelt als Schauspiel-Dramaturg – und das auf Top Niveau. Geboren 1960 in Lohne, vielleicht eine Autostunde von Bremen weg, und nach einem Studium der Germanistik, Soziologie und Philosophie in Göttingen, startete er die Theaterlaufbahn 1987 als Dramaturg und dann auch Regisseur am damals sehr experimentierfreudigen Jungen Theater Göttingen. Von da aus ging’s 1993 weiter zu Ulrich Khuon, der da gerade Intendant am Schauspiel Hannover geworden war: ein echter Karrieresprung!
Hamburg: Thalia Theater und HfMT
So ging es weiter, als Khuon, der stets eine Sensibilität für Talent hatte, im Jahr 2000 Intendant am Hamburger Thalia Theater wurde und Börgerding zu seinem Chefdramaturgen und zum Mitglied der Direktion machte. Schon in Hannover hatte Börgerding Lehraufträge an der Uni und der Fachhochschule wahrgenommen, auch in Hamburg war er an der Universität tätig gewesen. So war es durchaus konsequent, dass er zum 1. Oktober 2005 erster Direktor der Theaterakademie Hamburg wurde, unter deren Dach die Schauspiel- und Regiestudiengänge der Hochschule für Musik und Theater Hamburg (HfMT) endlich zusammengeführt wurden.
Dass er dann 2010 den Ruf nach Bremen annahm: an ein Vier-Sparten-Stadttheater, das noch immer stolz auf die große Schauspiel-Zeit unter dem Intendanten Kurt Hübner zurückblickte, das aber unter Klaus Pierwoß (1994 bis 2007) eine weithin beachtete Ausstrahlung auch in der Opernsparte entwickelt hatte, bevor es in der Intendanz von Hans-Joachim Frey in erhebliche Turbulenzen geriet – das war durchaus überraschend. Konnte dieser ausgewiesene Schauspielmann überhaupt Oper? Und wie würde so ein intellektueller Dramaturgen-Typ und Universitäts-Gelehrter mit der Kärrnerarbeit an einem Vier-Sparten-Haus klarkommen?
Bremen: Wagemutiges Stadttheater
Doch Börgerding strafte in Bremen alle Skepsis Lügen. Unter ihm entwickelte sich das Theater zu einem der spannendsten, innovativsten und wagemutigsten Stadttheater (denn ein solches ist es, auch wenn es im Stadtstaat Bremen de jure natürlich als Staatstheater firmiert) der Republik. In der Oper machte Börgerding Benedikt von Peter zum Leitenden Regisseur, der dort weithin beachtete, radikal experimentelle Opern-Inszenierungen herausbrachte. Das Schauspiel prägten Künstler wie Frank Abt, Alexander Giesche oder Alize Zandwijk, das Kinder- und Jugendtheater (unter dem Label MoKS) hatte bundesweite Strahlkraft.
Dass Börgerding dieses große und komplizierte Haus bis heute auf diesem Level halten konnte, verdankt er nicht nur seinem enormen Gespür für Trends und spannende Künstlerpersönlichkeiten, sondern auch seinem ausgleichenden Temperament und der kommunikativen Offenheit auf Augenhöhe, mit der er allen inner- und außerhalb seines Haus begegnet. Ein Intellektueller zwar ist er geblieben, er war einer der klügsten Theatermacher im Lande. Aber ihm war auch zutiefst bewusst, dass Intelligenz nicht darin besteht, dass einer immer recht hat, sondern dass sie sich erst im Dialog bewährt und dass sie – zumal in der Kollektivkunstform Theater! – nur in Gemeinsamkeit etwas Greifbares zustande bringen kann. Deshalb war und ist das Theater Bremen ein Ensembletheater im eminenten Sinne: mit profilierten Künstlerpersönlichkeiten in allen Sparten. Und an der Spitze mit einem umgänglichen, nahbaren Intendanten, dem unter dem Deckmantel seines wohltemperierten Temperaments das Herz für die Theaterkunst lichterloh brannte.
Deswegen war es wunderbar, sich mit ihm über das Theater zu unterhalten und zu streiten. Dabei zeigte er einem auch seine Verletzlichkeit, seine Betroffenheit etwa durch eine Kritik, die er nicht für gerechtfertigt hielt. Aber selten so, dass die Kommunikation abbrach. Deswegen war es eine Freude für mich, die redaktionelle Leitung eines Themenheftes zu übernehmen, das die Deutsche Bühne in Kooperation mit dem Theater Bremen herausgebracht hat. Der Titel des Heftes war bezeichnend: Stadttheater als Zukunftslabor.
Gern hätten wir als Bilanz seiner Bremer Intendanz noch ein weiteres Heft mit ihm gemacht. Diese Bilanz eines hochverdienstvollen künstlerischen Lebens, die nun gemeinsam nicht mehr möglich sein wird, beschreibt den Verlust, den die Theaterwelt mit dem Tod von Michael Börgerding zu beklagen hat.