Zum Tod von Hendrik Arnst
Foto: Hendrik Arnst © Thomas Aurin Text:Michael Laages, am 5. Januar 2024
Der Schauspieler Hendrik Arnst war unvergleichlich als Teil von Frank Castorfs Theaterfamilie an der Berliner Volksbühne. Nun ist er im Alter von 73 Jahren gestorben.
Genau zwei Menschen haben es immer geschafft, den akustisch hoch komplizierten Klangraum der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz allein mit der eigenen Stimme und unverstärkt zu füllen – das waren zum einen das altgediente Ensemblemitglied Harald Warmbrunn, der schon da war, als Frank Castorf das Haus übernahm im Herbst 1992. Und das war Hendrik Arnst, der zwei Jahre später dazu stieß. Der neue, selbstbewusste und lautstarke Osten, wie Castorf ihn im alten Theater-Tanker am Rande vom geschichtsgesättigten Scheunenviertel gleich hinter dem Alexanderplatz etablierte, bekam in Hendrik Arnst eine der prägendsten Stimmen.
Die Anfänge in Anklam
Eigentlich hatte Arnst, Castorfs gewichtiger Protagonist, wohl sofort nach Berlin mitkommen sollen. Er war schon besetzt in einer der allerersten Produktionen der neuen Volksbühne, musste dann aber noch laufende Verträge erfüllen. Hendrik Arnst, geboren 1950 in Weimar, war Teil des legendären kleinen Ensembles, das Castorf im abgelegenen Ostsee-Städtchen Anklam versammelt hatte, wohin er nach dem Rauschmiss in Brandenburg mit arbeitsrechtlicher Unterstützung des Anwalts Gregor Gysi strafversetzt worden war, als Schauspiel-Direktor des Intendanten Wolfgang Bordel, der Castorf kaum zwei Jahre lang ertrug.
Die Partei-Zensoren verboten Castorf-Produktionen vor der Premiere – weshalb die Fan-Gemeinde aus Berlin vorsichtshalber zu Generalproben anreiste. Zehn Jahre und einige Umwege später kehrte Hendrik Arnst neben Kurt Naumann und Horst-Günter Marx an die Volksbühne und nach Ostberlin zurück: ins kleine gallische Dorf der ostdeutsch geprägten Widerständigkeit, die zum wichtigsten Theater der Epoche wurde.
Als Komödiant ist er gestartet – spielte Hausdiener Eugen in der von Castorf aufgemöbelten Klamotte, die in der „Pension Schöller“ spielt. Arnst hatte die dankbarste Rolle – immerzu wuchtete er Koffer herein, teilweise mit monströsen echten Python-Schlangen drin; und Eugen kann statt „l“ nur „n“ sprechen – und wird so zum dauerschrägen Hausgeist bei „Schönner“.
Ein Spezialist für Miniaturen
Generell war dieser Schauspieler Spezialist für ausgefeilte Miniaturen. Arnst konnte sehr komisch sein – aber auch Schicksalsfiguren von immenser Tiefe erkunden auf der Bühne, sehr schnell und sehr beweglich. Immer ging er dabei kreativ um mit den eigenen Eigenheiten, wie das ja so typisch war für praktisch alle in Castorfs bester Volksbühnenzeit. Schon Arnsts Gang war sehr speziell. Wie auch der gewaltige Schädel, fast kahl, und darin unter funkelnden Augen der immer etwas schräg gezogene Mund – wer nach einem echten Unikum suchte in der alten Volksbühne, geriet unweigerlich an Hendrik Arnst.
Und Arnst war mutig – als sich das Castorf-Team aufmachte nach Brasilien, um dort eine international gemischte Version der Haus-Produktion „Im Dickicht der Städte“ zu erarbeiten, probte und spielte gerade er ganz umstandslos mit dem Rapper Nelson Triunfo aus Sao Paulo. Beide haben nie ein Wort verstanden von dem, was der jeweils andere sagte – aber auf der Bühne und in Stil und Tempo der Castorf-Regie wirkten sie wie eine Seele und ein Herz.
Dass es Dämonen gab, die Hendrik Arnst, diesen Ausnahme-Menschen, jenseits vom Theater immer wieder und bis an alle Grenzen gefährdet haben, war immer zu spüren; gerade in Sao Paulo und in Anwesenheit von sehr viel Caipirinha. Aber nur selten hat jemand den eigenen Körper derart zügig entgiftet wie er, um am Tag danach wieder zurechnungsfähig und gut ausbalanciert auf der Bühne zu stehen.
Übrigens konnte Hendrik Arnst gerade in diesen Momenten der Gefahr zum liebenswertesten, freundlichsten Zauberkünstler werden in diesem Ensemble aus lauter außergewöhnlichen Menschen. So herzlich hat wohl kaum jemand die jeweiligen Partner des seligen Augenblicks ans Herz gedrückt wie er. Wie frei und fröhlich er da war oder wie traurig, weil alles so schnell vergeht – wer kann das sagen. Vergessen aber wird dieser wunderliche Traumtänzer nie – so schwer und so leicht, wie er war.