Zum Tod von Harry Kupfer
Foto: Harry Kupfer © Lewin-Management Text:Andreas Falentin, am 31. Dezember 2019
Harry Kupfer war ein zu Lebzeiten bereits legendärer Opernregisseur. Er ist einer der wenigen, von denen man das behaupten kann. International wurde der Berliner, der in Leipzig studierte und früh an Bühnen in Stralsund, Halle, Weimar und Dresden Leitungsaufgaben wahrnahm, mit seinem „Fliegenden Holländer“ in Bayreuth. Senta erlebte das Handlungsgeschehen wie einen Traum: Ein Kniff, der die Handlung psychologisch durchstrukturierte und uns ganz gegenwärtig machte. Dazu führte Kupfer Simon Estes und Lisbeth Balslev zu geradezu unheimlich intensiven Rollenporträts. In den 80er-Jahren folgte ein großartiger Zyklus mit Opern aus Osteuropa in Köln, Händel-Inszenierungen mit hochmodernem Zugriff in Hamburg und Berlin ( ein später Reflex hierzu war seine letzte Inszenierung „Poros„, 2018 an der Komischen Oper), der „Ring“ in Bayreuth, eine „Elektra“ mit Claudio Abbado in Wien und viel Modernes: Reimanns „Lear“ in Berlin, Zimmermanns „Soldaten“ in Stuttgart, die Uraufführung von Pendereckis „Die schwarze Maske“ bei den Salzburger Festspielen. Dazu ein vieldiskutierter Mozart-Zyklus an der Komischen Oper, deren Chefregisseur Kupfer 20 Jahre lang war. Glucks „Orpheus“ (mit Jochen Kowalski) und Verdis „traviata“ (mit Noemi Nadelmann und Andrzej Dobber) schlossen sich an. Nicht jede dieser Inszenierungen begeisterte jeden Zuschauer, aber sie ließen nicht kalt, forderten Haltung, Enthusiasmus oder Widerstand von ihrem Publikum. Anders gesagt: Wer diese Aufführungen gesehen hat, vergisst sie nicht.
Harry Kupfer stand für ein haltungsstarkes psychologisch-realistisches Musiktheater, dass seine Schärfe und Richtung durch die Genauigkeit in jedem Detail gewann. Wie viele große Regisseure war Kupfer im übrigen kein einfacher Mensch. ich durfte Ihn anläßlich seiner Berliner Inszenierung der „Götterdämmerung“ persönlich und bei der Arbeit erleben. Das Ergebnis wurde bei Publikum und Kritik zwiespältig aufgenommen. Die gewaltigen Bauten von Hans Schavernoch zerschlugen viele Details (oder deckten sie zu), aber was Kupfer auf der Probebühne entwickelte, war magisch. Wie er hier in der Nornen-Szene eine komplette Welt entstehen ließ – Geschichte, gesellschaft, Mensch, alles – war schlichtweg überwältigend.
Seine Arbeiten in den letzten Jahren erreichten die Intensität der genannten Produktionen nicht mehr, vielleicht weil auch Harry Kupfer, trotz nie nachlassender Energie, älter wurde, sicher weil er die gesellschaftlichen Umwälzungen nach 1990 nicht so verstehen und reflektieren konnte und wollte wie zuvor die gesellschaftlichen und politischen Zustände der beiden deutschen Staaten. Die, glücklicherweise gut dokumentierte, Qualität seiner Meisterinszenierungen setzte dennoch Maßstäbe. Wir betrauern einen der wichtigsten und prägendsten Vertreter des sogenannten Regietheaters.
Gestern ist Harry Kupfer mit 85 Jahren in Berlin gestorben.