Zum Tod von Jutta Lampe
Foto: Jutta Lampe in „Das Gleichgewicht" von Botho Strauß, 1993 bei den Salzburger Festspielen © Ruth Walz/Salzburger Festspiele Text:Andreas Falentin, am 4. Dezember 2020
Sie war grazil, elegant, auratisch. Welche Kraft dieser Zartheit innewohnte, sah ein großes Publikum etwa in Margarethe von Trottas Film „Die bleierne Zeit“ über die Schwestern Charlotte und Gudrun Ensslin, der 1981 in die Kinos kam. Hier bot Jutta Lampe der Urgewalt und dem Filmstar-Appeal von Barbara Sukowa so mühelos Paroli, dass dieses partnerschaftliche Schauspielerduell wohl kaum vergessen kann, wer es einmal erlebt hat.
Dabei war Jutta Lampes ureigenes Terrain die Theaterbühne. 1937 in Flensburg geboren, wurde sie wie viele talentierte Schauspielerinnen und Schauspieler ihrer Generation bei Eduard Marks in Hamburg ausgebildet. Erste Engagements führten sie an das Hessische Staatstheater in Wiesbaden und ans Mannheimer Nationaltheater. 1964 holte Kurt Hübner sie nach Bremen. Und Jutta Lampe wurde eine Protagonistin des großen Aufbruchs im deutschen Theater. Peter Stein entdeckte Jutta Lampe nicht nur für seine Theaterarbeit (sie waren von 1967 bis 1984 auch verheiratet). Sie wurde Protagonistin etlicher von Steins Inszenierungen, arbeitete aber auch bereits in Bremen mit Peter Zadek zusammen, etwa in seiner legendären Inszenierung von „Maß für Maß“. Mit Zadek erarbeitete Jutta Lampe auch 2009 („Major Barbara“) ihre letzte Theaterrolle.
1971 ging sie mit Stein nach Berlin an die Schaubühne am Halleschen Ufer und wurde zur Schauspiellegende. Für ihre Tschechow-Rollen oder ihre Athene in der „Orestie“ warfen sich Publikum und Kritik ihr regelrecht zu Füßen. Immer bewahrte Jutta Lampe die ihr eigene, besondere Aura zarter, nie schwacher Schönheit und war doch immer anders, selbstbewusst oder verloren, erdenschwer oder federleicht und manchmal beides, tiefgründig oder oberflächlich, manchmal ironisch, immer geheimnisvoll, nie dumm. Neben Stein und Zadek wurden Luc Bondy und Klaus Michael Grüber zu „ihren“ Regisseuren.
Eine persönliche Erinnerung: Kleists „Amphitryon“ 1991, ausgelagert ins kleine, so hieß es damals noch, Hebbel-Theater. Klaus-Michael Grüber hatte sich von Gilles Aillaud eine sich ewig drehende Scheibe bauen lassen, in dessen Mitte der Jupiter Peter Simonischek fast die ganze Vorstellung nahezu unbeweglich stand. An der Seite trieben Udo Samel und Gerd Wameling ihre Späße und ließen die Zeit zumindest nicht zu lang werden. Aber der Abend zog sich doch sehr. Kleists Gedanken-Dynamik wurde einfach zu statisch für uns angerichtet. Anders gesprochen: Der Theaterabend drohte in Schönheit zu verenden. Bis auf das Schlussbild. Da stand plötzlich Jutta Lampes Alkmene in der Scheibenmitte, sagte ihr „Ach“, es erhob sich der so ziemlich kleinste denkbare Schneesturm und sie sah zu ihm hoch und fing ein paar Flocken in ihrer Hand. Und in ihrem Körper, ihrem Wort, ihrem Denken, ihrer Aura war in diesem einen Moment der ganze, komplizierte Kleist. Furchtbar schön.
Nach längerer Krankheit ist die wunderbare Schauspielerin Jutta Lampe am 3. Dezember 2020 in Berlin gestorben.