RADAR OST am Deutschen Theater in Berlin
Foto: „Ha*l*t“ statt „Hamlet“ mit Oleksandr Sokolo, Maryna Klimova, Iryna Tkachenko, Kateryna Kisten und Oleh Stefan (v.l.n.r.) © Arno Declair Text:Detlev Baur, am 9. März 2023
Gestern wurde das fünfte internationale Theaterfestival RADAR OST am Deutschen Theater in Berlin eröffnet. Die Koproduktion „Ha*l*t“ beschreibt die Situation für Theaterleute in der Ukraine und ist dabei Teil einer kontinuierlichen künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Krieg.
Seit 2018 blickt das Festival RADAR OST am Deutschen Theater in Berlin ins nahe Osteuropa, das den meisten von uns immer noch ziemlich fern geblieben war. Gestern wurde die fünfte Ausgabe eröffnet; fünf Tage lang sind dort Inszenierungen aus der Ukraine, Belarus, Slowenien und Georgien zu sehen. Aktuell ist diese frühere Sowjetrepublik Schauplatz, massiver innerer Konflikte, die eng mit der russischen Aggression in der Ukraine verbunden sein dürften. Festivalkuratorin Birgit Lengers verwies bei der Festivaleröffnung auf diese Aktualität und die Spannungen, unter der das Theater aktuell in Georgien steht.
Kontinuierlicher Austausch
Die Eröffnungsveranstaltung stellte programmatisch Künstlerinnen aus der Ukraine in den Mittelpunkt: Die in Deutschland tätigen Mariana Sadovska und Svetlana Kundish erklärten ihre schon lange währende Forschung nach ihren auch jüdisch geprägten musikalischen Wurzeln in der Ukraine und sangen so kraftvoll wie zerbrechlich-schön Lieder wie das von einem im Ersten Weltkrieg sterbenden Soldaten. Die derzeit in Paris lebende Irene Karpa trug ein musikalisch und durch Collagen unterlegtes Gedicht über die Kraft einer Frau im Krieg vor.
Die dem Festival in diesem Jahr zugrunde liegende Frage lautet, wie die Kunst, das Theater auf den Krieg reagieren können. „Art can heal“ sagte Irene Karpa im kurzen Podiumsgespräch; der Regisseur Andrii Palatnyi dankte für die Unterstützung in Deutschland und betonte, dass Theaterarbeit in Kriegszeiten nicht nur für die Theaterleute, sondern auch für das Publikum in der Ukraine besonders wichtig sei. Den Festivalmachern, Birgit Lengers und DT-Intendant Ulrich Khuon, ist wichtig eine kontinuierliche Zusammenarbeit zu entwickeln und nicht nur „Leckerbissen“ in Form von Gastspielen zu zeigen.
Sechs Personen suchen ihr Theater
Folgerichtig eröffnete die zunächst für das Festival produzierte Uraufführung „Ha*l*t“ in den Kammerspielen den Reigen der Theateraufführungen. Die Kooperation mit dem Left Bank Theatre aus Kyjiw verarbeitet die vor einem Jahr geplante und durch den Ausbruch des Krieges gescheiterte Premiere von Shakespeares „Hamlet“ an diesem Theater der ukrainischen Hauptstadt. Die Ausgangsidee ist spektakulär: Vor dem Eisernen Vorhang trifft sich das Ensemble zum Publikumsgespräch; der Kriegsfall sei ja nun doch nicht eingetreten, die Premiere lief gut, nur der Darsteller des Fortinbras fehlt. Die zunehmende Verwirrung im Ensemble spielen die fünf ukrainischen Darsteller:innen überzeugend, das Mitlesen der deutschen und englischen Untertitel ist angesichts der komplexen Konstellation – und der folgenden Vermischungen mit Szenen aus dem in jeder Beziehung „gescheiterten“ „Hamlet“ – hilfreich und auch etwas mühsam. Dann hebt sich der Vorhang und gibt den Blick frei auf sechs kleine Kunsttannen. Die knapp zweistündige Inszenierung von Tamara Trunova verbindet im Folgenden „Hamlet“-Texte der verzweifelten Hauptfigur mit Selbstbefragungen der durch den Krieg verwirrten Darsteller:innen. Das ist klug verwoben, in den Shakespeare-Partien allerdings weniger packend als in den autobiographisch gefärbten Partien.
Spät kommt der Geist des Vaters hinzu, die sechs (Oleksandr Sokolov, Iryna Tkachenko, Maryna Klimova, Kateryna Kisten, Vitalii Salii und Oleh Stefan) erinnern in der Vermischung aus Theaterrealität und vorgeschriebenem Drama an Pirandellos „Sechs Personen“, sind selbst zu Geistern zwischen Alp-Traum und Realität geworden, im Finale zwischen den Bäumchen erinnern sie dann auch an den wandelnden Kriegswald in „Macbeth“. Die größte Kraft hat die Inszenierung in den beiden kurzen Video-Einspielungen des ursprünglich als Fortinbras vorgesehenen Volodymyr Kravchuk, der seit einem Jahr als Soldat im Krieg ist. Die Worte des norwegischen Angreifers und des ukrainischen Verteidigers beschreiben ein Land nach dem Krieg. Die Inszenierung verhandelt insgesamt beeindruckend Sprachlosigkeit und Alptraumhaftes der ukrainischen Gegenwart.
Damit steht „Ha*l*t“ in einem größeren Zusammenhang der „Art front“ ukrainischer Theaterleute im Exil in Zusammenarbeit mit deutschen Theatern. Am Welttheatertag im März 2022 waren im Deutschen Theater unter anderem Theaterleute aus dem damals noch umkämpften Mariupol zu Gast; die Mischung aus literarischer Auseinandersetzung, realer Gemeinschaft und digitalen Zuschaltungen schuf damals eine intensive Auseinandersetzung mit der unerträglichen Situation.
Im Herbst inszenierte dann der ukrainische Regisseur Stas Zhrykov unter anderem mit nun wieder durch seine Präsenz, Ruhe und Fragilität herausragenden Oleh Stefan eine dichte Analyse der Lage von Schauspielern zwischen Kriegsdienst und schauspielerischer Reaktion an der Berliner Schaubühne. Geklärt ist nach einem Jahr nichts, der Ausnahmezustand ist normaler geworden, ukrainisch-deutsche Projekte haben dafür theatrale Formen zwischen Performance und Klassikerbefragung gefunden, die Zukunft des uns näher gekommenen Landes ist aber weiter offen. In einem Schwerpunkt werden wir uns in der Mai-Ausgabe der Deutschen Bühne zu den Folgen des Krieges auf das Theater beschäftigen.
Das Festival dauert bis zum 12. März. Der Deutsche Bühnenverein gehört zu den Partnern von RARAR OST.