Wie geht Figurentheater-Kritik?
Foto: Die Diskussionsrunde „Befragung der Kritik” © Fidena Text:Tobias Prüwer, am 10. Mai 2022
Im Rahmen des Festivals FIDENA fand das Diskursformat „Befragung der Kritik” statt, bei dem Autor:innen und Vertreter:innen der Szene über ihre Perspektiven auf Figurentheaterkritik sprachen. Unser Autor Tobias Prüwer war dabei.
„Schelten Sie das Puppenspiel nicht“, mahnte schon der gelehrige Wilhelm Meister. Auch 220 Jahre nachdem Goethe seiner Figur die Worte in den Mund legte, herrscht Uneinigkeit, ob und wie man das Figurentheater angemessen kritisieren soll – besonders in Abgrenzung zum Sprechtheater.
Zumindest darüber zeigte man sich in der Diskussionsrunde Befragung der Kritik überwiegend einig, zu der im Rahmen des Figurenfestivals FIDENA in Bochum rund 20 Theaterkritiker, Künstler, Dramaturgen, Forschende und Veranstaltende zusammenkamen: Vertreter vom Puppentheater Halle und Stuttgarter FITZ, Autor:innen für Nachtkritik, Theater der Zeit, Die Deutsche Bühne und diversen Tageszeitungen. Kernfrage war, ob man die „das andere Theater“ genannte Kunstform auch anders kritisieren müsse. Und was hieße es denn, anders zu kritisieren? Im Grund berührte die zweistündige Diskussion viele Fragen, die die Kritik und die Kunst, die Institution und das Theaterpublikum auch ganz allgemein betreffen.
Figurentheater als Gratwanderung
Natürlich kann man in einem Theater zwischen Puppenspiel und animiertem Ready Made eine besondere Herausforderung an die Kritik sehen. Durch vielfältige Öffnungen zu und Überlappungen mit anderen Kunstformen erscheint das Figurentheater zudem als eine besondere Gratwanderung zu Performance, bildnerischer und Medienkunst. Und als solche inszenieren sich viele seiner Protagonisten. Aber so eine Öffnung steht den anderen Theaterformen genauso frei und tatsächlich passiert das auch, wenn etwa im Tanz- und Performance-Bereich seit einigen Jahren die Hinwendung zum Neuen Zirkus zu beobachten ist.
Was passiert auf der Bühne, wenn ein Schauspieler zur Maske greift, wird er dann zur Puppe? Oder wenn ein Darsteller über die Bühne geführt wird? Fallen Roboter, wie die automatisierte Licht-Maschine zuletzt in der Leipziger „Undine“, nicht auch unter die Rubrik Objekttheater? Selbst wenn nicht: Das zu beschreiben, begreifen und beurteilen zu können, darf jeden überfordern, der damit neu konfrontiert wird; unabhängig davon, ob es sich nun explizit um „Figurentheater“ handelt oder um Sprechtheater mit solchen Elementen.
Fehlende Seherfahrung
Im Grunde geht es dem Kritiker damit nicht anders als dem Publikum: Der Seherfahrungs-Schatz ist ausbaufähig. Und da viele Kritiker vom Schauspiel kommend auch Figurentheater besprechen, besteht hier teilweise Nachholbedarf beziehungsweise das Risiko, nicht alles zu erfassen. Das betrifft genauso die Frage, wie man mehr Menschen fürs (Figuren-)Theater interessieren kann. Es braucht Seherfahrungen, um eventuelle Schwellenscheu zu nehmen, deshalb ist gerade hier die theaterpadägogische Arbeit unerlässlich.
Zur Sprache kam in diesem Zusammenhang auch das doppelte Ost-West-Gefälle im Figurentheater: Nicht nur gibt es in Ostdeutschland eine gepflegte und öffentlich geförderte Tradition von Kinder- und Jugendtheatern. Es existieren noch dazu zahlreiche städtische Ensemblefigurentheater, die auch Erwachsenenproduktionen inszenieren. Das erleichtert einen frühen Zugang und erhöht die Selbstverständlichkeit von Figurentheater.
Wo noch publizieren?
Problematisiert wurde in der Runde auch der schrumpfende Platz im Feuilleton: Je weniger Raum für Theaterthemen, desto weniger kompetente Autor:innen wachsen heran. Lokale Blogs können zwar immerhin Berichterstattung bieten, aber keine professionelle Kritik ersetzen, denn dieses Handwerk braucht Übung und – überregionale – Seherfahrung. Für die reine Figurentheaterkritik stehen in Deutschland nur zwei Publikationsorgane zur Verfügung: das halbjährliche Magazin Double und die Webseite des Forums für Figurentheater und Puppenspielkunst.
Es sei dennoch nicht die Rolle der Theaterkritik, Menschen ins Theater zu locken, so die anwesenden Berufskritiker. Natürlich fühle man sich als Kulturjournalist berufen, auf Seiten der Kunst zu stehen und sie etwa gegen Sparzwänge zu verteidigen. Aber Werbetrommler sei man keineswegs. Nicht so klar wurde, ob der Kritiker nun mehr das Publikum verteidigen soll oder die Kunst oder, ob Theater nicht vielmehr erst durch die Künstler und das Publikum entsteht – und der Kritiker eben mittendrin steht. Dass die meiste Theaterkritik zwischen Lob und Verriss stattfindet, dass begründen und differenzieren unerlässlich sind, lässt sich als kleinster gemeinsamer Nenner aus der Diskussion mitnehmen. Die anwesenden Kunstschaffenden hingegen wünschten sich eine Kritik, die wertet, aber als Gesprächsangebot verstanden werden soll.
Generell kam die Mahnung, der Kritiker solle bitte genau überlegen, was da warum auf der Bühne geschieht – zum Beispiel mit einer Gliederpuppe statt einem Klappmaulkopf. „Welche Puppe ich benutze, das ist wie eine Entscheidung Gottes, wie die Erschaffung der Welt. Das kann doch nicht egal sein und in der Kritik übergangen werden.“
Das Ringen um angemessene Theaterkritik, um Formen, das Theater differenziert zu umkreisen und erschließen, kann auch diese Diskussion nicht beenden. Das sollte sie auch nicht, denn auch diese Frage ist – ohne selbstreferenziell zu sein – Teil der Theaterkritik.