„Theater unser“ von Anne Fritsch
Foto: Cover „Theater unser“, Theater der Zeit © Theater der Zeit Text:Andreas Falentin, am 19. Mai 2022
Viele wollen Römer spielen. Ausgerechnet. Der Grund dafür sind nicht die – wegen des authentischen Klirrens – tatsächlich aus Metall angefertigten Rüstungen für die Soldaten, sondern die Tatsache, dass alle Römer-Darsteller vom Haarerlass befreit sind, der für alle anderen mitspielenden Dorfbewohner ab dem Aschermittwoch im Jahr vor den Festspielen greift.
Ja, wir sind in Oberammergau, wo am 14. Mai die 42. Passionsspiele eröffnet wurden, die eigentlich getreu ihres 10-Jahres-Turnus 2020 hätten stattfinden sollen. Die kleine Römer-Anekdote ist nur eine von vielen Skurrilitäten und Episoden aus dem Leben eines Dorfes mit 5000 Einwohnern, von denen alle zehn Jahre über 2000 gemeinsam auf einer Bühne stehen. Vieles von dem, was hier zu lesen ist, lässt an ein anderes Dorf denken – ein fiktives, kleines, gallisches. Hier gibt es nirgendwo anders denkbare Regeln wie das „Spielrecht“, das festlegt, wer wie lange nach seinem Zuzug nach Oberammergau ein Anrecht hat, bei den Festspielen mitzuwirken, das unerbittlich scheint und dem doch immer wieder Ausnahmen abgerungen werden, wie aktuell für Flüchtlingskinder.
Das alles wirkt gar nicht kleingeistig, sondern interessant, sogar sympathisch, weil Anne Fritsch, die seit vielen Jahren profilierte freie Autorin der DEUTSCHEN BÜHNE ist, sich in ihrem Buch „Theater unser“ weder über die außergewöhnlichen Vorgänge lustig macht, noch sich dieser fast 400 Jahre alten Festspielbesonderheit devot zu Füssen wirft.
Die Autorin begegnet ihrem Gegenstand mit Empathie, leugnet nicht, von den Festspielen, vor allem auch vom Geschehen drumherum, fasziniert zu sein, bewahrt sich aber die notwendige Distanz. Und so gelingt es ihr, mit thematischer, nicht historischer Gliederung, sowohl 400 Jahre Festspielgeschichte zu verlebendigen, als auch für die aktuelle Situation im Dorf und auf dessen Bühne zu interessieren.
Da wird eine lange Geschichte erzählt, die von Traditionalismus dominiert wird und Antisemitismus nicht ausspart; in der Leidenschaft, Freiheitsdrang und Kreativität einen größeren Platz einnehmen als Bigotterie, in der sich ständig Kulturkämpfe ereignen und Geld durchaus eine Rolle spielt. Immer wieder geraten Erzählungen einzelner Menschen in den Mittelpunkt. Am häufigsten geht es dabei um Christian Stückl, den Intendanten des Münchner Volkstheaters und aktuellen Oberammergauer Spielleiter, der seit über 20 Jahren daran arbeitet, die Festspiele in die Gegenwart zu führen, auch wenn die Engelsflügel weiter händisch mit echten Federchen beklebt werden und die Kreuze alle zehn Jahre aus massivem Holz neu zusammengefügt werden.
Finale Warnung: Wer „Theater unser“ liest wird vielleicht hinfahren wollen in das kleine, bayerische Voralpendorf, zu den Passionsspielen in Oberammergau. Für dieses Jahr soll es noch Karten geben!
„Theater unser“ von Anne Fritsch ist 200 Seiten lang und im Verlag Theater der Zeit erschienen.
Der Titel ist als Buch (für 15 €) und als Ebook (für 12,99 €) im Buchhandel erhältlich.