Schauspielhaus Zürich: kurze Doppelspitze
Foto: Schauspielhaus Zürich © Andreas Graber Text:Bettina Schulte, am 27. August 2024
Der Vertrag von Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg am Schauspielhaus Zürich ist ausgelaufen. Das Intendanten-Duo konnte einiges an künstlerischem Erfolg verbuchen, dennoch schwand das traditionelle Stammpublikum. Eine Bilanz.
Skepsis begleitete die Entscheidung für das Intendanten-Duo Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg von Anfang an. Die gebürtige Baslerin Barbara Frey hatte das Zürcher Schauspielhaus von 2009 bis 2019 erfolgreich geleitet, bevor sie Intendantin der Ruhrtriennale wurde. Gleich zwei Deutsche, ein Regisseur und ein Dramaturg, an der Spitze des bedeutendsten Schweizer Theaters? Nun ja, die mit viel Elan und neuen Ideen begonnene Ära wurde keine. Nach fünf Jahren ist Schluss für Stemann / Blomberg, eine Vertragsverlängerung wurde abgelehnt.
An mangelndem künstlerischem Erfolg kann es nicht gelegen haben. Mit Christopher Rüping wurde ein Shootingstar der Szene ans Haus gebunden, der davor schon dreimal zum Berliner Theatertreffen eingeladen, zweimal zum Nachwuchs- und zum Regisseur des Jahres gekürt worden war und seine aufsehenerregende Arbeit auch unter widrigen Pandemie-Bedingungen fortführte. Mit seiner auf der leeren riesigen Bühne des Schiffbaus spielenden Aufführung von Jean-Luc Lagarces Familiendrama „Einfach das Ende der Welt“ wurde er 2021 erneut zum Theatertreffen eingeladen. Es war eine von wenigen Produktionen, die die starken Einschränkungen des Spielbetriebs produktiv, auch mit dem Einsatz von Webcams, zu nutzen wussten.
Stemann / Blomberg hatten wie alle Intendanten, die einige Monate vor den Lockdowns im Herbst 2019 ihre Arbeit begonnen hatten, keine geringen Probleme damit, sich nachhaltig sichtbar zu machen. Dabei hatten sie sich im Gegenteil programmatisch vorgenommen, in der Stadtgesellschaft besonders sichtbar zu werden. Der Anspruch: Kein Hochleistungshaus, sondern das Stadttheater der Zukunft zu sein. Ein kontinuierlicher Dialog mit dem Publikum sollte durch die Verpflichtung von nicht weniger als acht Hausregisseuren gewährleistet werden, die ihr Domizil in der Stadt aufschlagen sollten. In Rüpings für den Nestroy nominierter großartiger Inszenierung von Sarah Kanes Drama „Gier“ lief die fabelhafte Wiebke Mollenhauer, die 2023 auch wegen dieser Leistung zur Schauspielerin des Jahres gekürt wurde, am Ende durch die halbe Stadt, um ein – vorher gecoachtes – Bad im eiskalten Zürichsee zu nehmen. Das hätte ein schönes symbolisches Zeichen für den Schulterschluss zwischen Kunst und Stadt sein können. Hätte.
Modernisierung des Pfauen-Foyers
Mit der Modernisierung und einladenden Möblierung des Pfauen-Foyers setzte die sich explizit antihierarchisch und kollaborativ verstehende Doppelspitze auch ein äußeres Zeichen für einen Neubeginn, der andere – jüngere, diversere – Publika anziehen sollte. Dazu gehörte die Erweiterung der ästhetischen Mittel in der Verbindung von Theater mit Tanz, Film und performativen Formaten in einer großen Vielfalt von künstlerischen Handschriften. Paradigmatisch stand dafür der US-amerikanische schwarze Choreograph Trajal Harrell, der mit seiner Umsetzung von Keith Jarretts Köln Concert und einer neuen Deutung von Shakespeares Romeo-Figur Glanzpunkte setzte.
Produktionen wie „Riesenhaft in Mittelerde“ zielten unter Einbeziehung des Theaters Hora und des Helmi Puppentheaters ganz konkret auf ein Publikum jenseits der klassischen Theatergänger. Die Theatertreffen-Jury war begeistert und lud die Regiearbeit von Nicolas Stemann, Stephan Stock und Florian Loycke zum diesjährigen Festival ein.
Trotzdem rauschten die Zuschauerzahlen in den Keller – und das war nicht nur dem Corona-Einbruch geschuldet. Ein auf den woken, politisch korrekten Zeitgeist setzendes Programm, das den Kanon weitgehend außen vorließ, vergraulte das traditionelle Publikum. 2022 schwappte eine heftige Debatte durchs Haus, die der Schauspieler Sebastian Rudolph mit einem Interview über die Dominanz von Diversität bei der Auswahl der Schauspieler losgetreten hatte. Publikum lässt sich mit solchen Auseinandersetzungen kaum gewinnen. Abonnements wurden reihenweise gekündigt, die Auslastung lag zuletzt auf einem historischen Tief von 48 Prozent.
Schon Christoph Marthaler scheiterte
Schon bei Christoph Marthaler, der das Haus vor zwanzig Jahren ähnlich leergespielt hatte, zog der Verwaltungsrat die Reißleine, obwohl an Marthalers künstlerischer Qualität kein Zweifel bestand. Dass Stemann und Blomberg den gescheiterten Plan, den ehrwürdigen Pfauen durch eine moderne Spielstätte zu ersetzen, forciert hatten, brachte ihnen unter den Stammzuschauern kaum Freunde ein. Man wird ihnen nachsagen, sie seien zu arrogant gewesen und hätten das Umfeld des Theaters nicht verstanden.
Ob das ihren Nachfolgern Pinar Karabulut und Rafael Sanchez besser gelingen wird, bleibt abzuwarten. Immerhin stammt Sanchez aus Basel und ist für leichtere Theaterkost bekannt, Karabulut allerdings gilt als eingefleischte Feministin, die mit der „Kraft der Vulva“ den Kanon erst recht aus den Angeln heben will. Darin dürfen sich die Co-Intendanten bestätigt sehen. Es gebe kein Zurück mehr, rufen sie ihrer ehemaligen Wirkungsstätte trotzig hinterher. Man wird sehen.