Burgtheater Wien: Düstere Kusej-Bilanz

Martin Kušej verlässt nach fünfjähriger Intendanz das Wiener Burgtheater mit einer düsteren Bilanz. Groß angekündigte Erneuerungen konnte er nicht einlösen, zahlreiche Inszenierungen floppten – und in der Pandemie zog sich der Intendant zurück. Eine Bilanz.

Das Burgtheater „wird ein Raum der Extreme sein – extrem kontrovers, extrem vielgestaltig, extrem dringend, extrem zeitgenössisch, extrem laut, extrem leise, extrem österreichisch, extrem international. In diesen Raum ist das ganze Spektrum der Gesellschaft eingeladen“, das kündigte Martin Kušej 2019 bei seinem Amtsantritt vollmundig an.

Internationalität, Diversität und ästhetische Innovation sollten das Burgtheater unter seiner Leitung prägen. Doch den versprochenen Erneuerungsschub löste er nur äußerst partiell ein. Und glücklos blieb der Österreicher auch im Hinblick auf das künstlerische Gesamtergebnis. Prägend waren vielmehr eine Vielzahl von Problemen während Kušejs lediglich fünf Jahre dauernder Intendanz. Folglich trat er im Dezember 2022 die Flucht nach vorne an und zog im letzten Moment seine Bewerbung für eine Verlängerung mit der Begründung zurück, „das uneingeschränkte Vertrauen vonseiten des Eigentümers“ sei wohl nicht mehr gegeben. Auch die anfänglich wohlwollende Haltung der Presse und der am Theater überaus interessierten Wiener Öffentlichkeit war in Kritik umgeschlagen.

Start mit Ulrich Rasche und Wajdi Mouwad

Noch zur Eröffnung hatte Kušej mit Ulrich Rasches demokratiepolitisch aufgeladener Version von Euripides‘ „Die Bakcken“ ein starkes gesellschaftliches Zeichen gesetzt, gefolgt von „Vögel“ des libanesisch-kanadischen Autors Wajdi Mouwad. Zwischen Deutsch, Englisch, Arabisch und Hebräisch umkreist er den Nahost-Konflikt, womit Kušej sein Konzept der Mehrsprachigkeit realisierte ebenso wie mit dem technisch aufgeblähten, aber inhaltlich wie dramaturgisch dürftigen Projekt „Dies Irae“ von Kay Voges, einem der veritablen Tiefpunkte von Kušejs Intendanz.

Ohne richtig in Schwung kommen zu können, bremste die Pandemie vorerst seine weiteren Vorhaben. Doch anstatt mit der Entwicklung von Online-Formaten, dem Streaming von Aufführungen oder historischen Schätzen aus dem Archiv das Theater zumindest notdürftig präsent zu halten und dadurch auch für gesellschaftlichen Zusammenhalt – nicht zuletzt am eigenen Haus – zu sorgen, zog er sich in sein Heimatland Kärnten zurück, um dort seine Autobiographie zu vollenden. In höchster Not ließ Kušej sein Theater im Stich. Und gleichzeitig wurde ihm – stets anonym – ein autoritärer und chaotischer Führungsstil vorgeworfen, der für eine „Atmosphäre der Angst“ gesorgt habe, worauf Kušej kaum reagierte. All das mag zu einer starken Fluktuation von Schauspieler:innen geführt haben und verhinderte ein stetes Zusammenwachsen des Ensembles. Zwar etablierte er darin eine mittlerweile selbstverständlich gewordene Diversität, aber die Pluralität der Gesellschaft auch im Publikum abzubilden, gelang ihm nicht. Dazu bedürfte es deutlich engagierterer Bemühungen.

Martin Kušej

Martin Kusej. Foto: Susanne Hassler-Smith

Auch Kušejs wenig umsichtiges Verhalten beim Kinderpornographie-Fall des Burg-Schauspielers Florian Teichtmeister zählt zu den Problemfeldern, die seine Intendanz zunehmend verdüsterten. Was nicht zuletzt auch am künstlerisch enttäuschenden Gesamtergebnis liegt. Denn vielfach unausgegorene und oberflächlich auf den Schauwert schielende Inszenierungen konnten auch nicht durch hervorragende Schauspieler:innen gerettet werden.

Die größten Flops

Zu den größten Flops zählten neben einer Reihe von Kušejs eigenen Inszenierungen, wie etwa von Kleists „Hermannsschlacht“ und von Sartres „Geschlossene Gesellschaft“, auch Oliver Frljićs Version von Heiner Müllers „Hamletmaschine“ sowie Daniel Kramers zahnlose Inszenierungen von Tony Kushners „Engel in Amerika“ und Peter Handkes „Kaspar“ – um nur einige wenige zu nennen.

Bedeutsames gelang Martin Kušej hingegen mit der Wiederentdeckung zu Unrecht vergessener, für die Bühne adaptierter Romane wie Marianne Fritz‘ „Die Schwerkraft der Verhältnisse“ oder Ladislav Fuks‘ „Der Leichenverbrenner“. Dass Kušej Anna Gmeyners Stück „Automatenbuffett“ und Maria Lazars „Der Henker“ wieder ans Licht der Öffentlichkeit brachte, zählt ebenso zu seinen Verdiensten wie das längst fällige Burg-Debüt der slowenischen Regisseurin Mateja Koležnik. Ihre Inszenierungen von „Der Henker“ und Strindbergs „Fräulein Julie“, die ihre Theatralität und Brisanz aus musikalischer Präzision entwickelten, waren rare Höhepunkte. Zu diesen zählen – im Rahmen von Kušejs Schwerpunkt von Stücken österreichischer Autor:innen – auch Frank Castorfs auf die Spitze getriebene Pandemie-Suada „Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!“ von Elfriede Jelinek. Johan Simons abstrakt-kitschfreie, doch umso schmerzlicher treffende Darstellung einer gewaltbereiten Anti-Gemeinschaft in Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ ist ebenso zu nennen wie die ungewohnt luftig-humorvolle Inszenierung Barbara Freys von Shakespeares „Sommernachtstraum“.

„Aufwachen, bevor es wieder finster wird“, lautete Martin Kušejs letztes Spielzeitmotto, um sich gegen Rechtsradikalismus zu positionieren. Es ist bedauerlich, dass er diese kompromisslose Haltung nicht auch künstlerisch realisieren konnte. Im Herbst tritt Stefan Bachmann seine Nachfolge am Burgtheater an.