Sivan Ben Yishai: Like Lovers Do (Memoiren der Medusa)
Foto: Cover zum Buch "Like Lovers Do" von Sivan Ben Yishai © Suhrkamp Text:Thilo Sauer, am 24. November 2022
Sie ereignet sich vermutlich viel öfter als wir uns vorstellen können: Sexistische und sexualisierte Gewalt. Die Autorin hat allen Opfern mit ihrem Theatergedicht „Like Lovers Do“ eine Art Denkmal gesetzt. Dass Sivan Ben Yishai, die sich in ihren Stücken oft mit gesellschaftlicher Gewalt beschäftigt, in der Kritiker:innen-Umfrage von Theater heute, auch wegen dieses Textes, zur Dramatiker:in des Jahres gewählt wurde, ist ein starkes Zeichen.
Wobei Denkmal das falsche Wort ist – Anklageschrift trifft es wohl besser. Sivan Ben Yishai richtet ihren Text an alle Menschen, die sie mit Händen oder Wörtern belästigt haben, an toxische Beziehungen und Beschimpfungen. Es geht um erschreckende Formen der Gewalt, aber auch um die Alltäglichkeit: Ben Yishai richtet sich eben auch an die Liebenden, als die „Lovers“, zu deren Beziehungen der Sexismus dazugehört.
Die Bilder und Erzählungen wirken oft wie schon tausendmal gehört, weil sie tatsächlich so oft erzählt werden. Das nimmt den Sätzen jedoch nicht die Wucht. Die Autorin spart auch nicht an Anspielungen, erzählt von Medusa als dem ersten, mythologischen, Opfer von Victim Blaming. Sie wurde zum Monster, nachdem Poseidon sie vergewaltigt hatte. Und Ben Yishai entwickelt am Beispiel von Lorena Bobbit eine gewaltvolle Utopie der Kastration.
Komplexe Schuldfrage
Darin liegt eine große Stärke des Stücks: Ben Yishai erzählt nicht nur von männlichen Tätern und unschuldigen Frauen, sondern von einem gestörten System. Das lyrische Ich – „Like Lovers do“ lässt sich auch als großformatiges Gedicht lesen – hat gerne Sex und das gerne auch mal härter. Manche Männer verurteilen sie dafür, beschimpfen sie, während andere das als Ausrede nutzen, um sich selbst nicht zurückhalten zu müssen. Nicht nur weiße Jungfrauen können Opfer sein. Immer wieder taucht eine Gruppe von Mädchen auf, eine verschworene Gemeinschaft. Sie sind ein vervielfachtes Haupt, wie der Schlangenkopf der Medusa, das sich gegen die unerwünschten Annäherungsversuche von Männern abschottet. Gleichzeitig erträumen sie sich den perfekten Mann, eine Art Ken, und werden so selbst Teil des unterdrückenden Systems von Rollenzuschreibungen.
„Like Lovers Do“ lebt auch von der Sprache. Wobei hier auch eine Warnung angebracht ist (ähnlich wie bei der Uraufführung an den Münchner Kammerspielen): Ben Yishai erzählt sehr konkret und ungeschönt von körperlicher und seelischer Gewalt, die vielleicht nicht jeder erträgt. Doch ihre Sprache ist keine reine Grenzüberschreitung, nicht nur sensationistisch, sondern eben auch poetisch. Es ist ein Klagelied, dass sich direkt in den Körper einschreibt und das man wegen den anklagenden Tons auch gleich selbst laut lesen und der Welt voller sexistischer und sexueller Gewalt entgegenwerfen möchte.
Sivan Ben Yishai: Like Lovers Do (Memoiren der Medusa), in Deutsche übertragen von Maren Kames, wurde am 9. Oktober 2021 unter der Regie von Pinar Karabulut an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt. Die Inszenierung wurde zum Berliner Theatertreffen 2022 eingeladen. Der Dramentext ist im März 2022 unter der ISBN 978-3-518-43064-4 bei Suhrkamp erschienen. Der broschierte Band eumfasst 92 Seiten und ist für 16 Euro im Handel zu erwerben. Eine Leseprobe gibt es HIER.