Schleudersitz Intendanz

Es sind Wochen mit ungewöhnlich vielen Intendanz-Enden: In Tübingen, Wuppertal, Essen, Leipzig und Münster sind Leitungsverträge nicht verlängert worden – aus unterschiedlichen Motiven. Ein Überblick mit der Suche nach Ursachen für den Schleudersitz Intendanz.

In den letzten beiden Wochen erreichen uns auffällig viele Meldungen über Nicht-Verlängerungen von Intendanzen. Los ging es am 27. Februar mit der vorzeitigen Kündigung des Intendanten am Tübinger Zimmertheaters: Peer Mia Ripberger. Gemeinsam mit dem kaufmännischen Leiter Roman Pertl sah sich Ripberger nicht mehr in der Lage, den rigiden Sparkurs der Stadt für das kleine Haus mitzutragen. Ab 2026 wird die kommunale Förderung des bei Publikum und Kritik erfolgreichen Theaters für „theatrale Zukunftsforschung“ um 26 Prozent gekürzt. Ripberger wollte nicht „die drohende Abwicklung der Betriebsfähigkeit“ des Theaters verantworten und damit zum Totengräber des Theaters werden.

Tübingen und Essen: Zwischen politischem Protest und persönlicher Entscheidung

Während hier also finanzielle Notlagen bzw. kulturpolitische Ignoranz gegenüber dem Theater die Ursache für den einseitigen Rückzug war, sind in anderen Fällen eher persönliche, hausinterne oder künstlerische Gründe die Ursache für eine Trennung in „gegenseitigem Einvernehmen“. Ebenfalls am 27. Februar wurde bekannt, dass Merle Fahrholz ihren Vertrag als Intendantin der Essener Aalto Oper über 2027 hinaus nicht verlängern wird. Warum, ist nicht klar. Ihr Spielplan war ambitioniert, hat das Publikum aber auch gespaltet. Aufsichtsratsvorsitzende Barbara Rörig unterstreicht das von Fahrholz Erreichte: „Sie hat in den ersten zweieinhalb Jahren ihrer Intendanz wichtige und mutige Impulse gesetzt.“

Leipzig: Konstante 14 Jahre im Schauspiel

Einen Tag später dann, am 28. Februar, veröffentlichte die Stadt Leipzig eine Pressemitteilung über die Nicht-Verlängerung der Intendanz Enrico Lübbes am Schauspiel Leipzig über 2027 hinaus. Der Regisseur wird das Haus dann immerhin 14 Jahre geleitet haben. Insofern gehört diese Entscheidung nicht unbedingt in eine Reihe mit den anderen dramatischen Intendanz-Enden dieser Tage. Lübbe hat es geschafft, die über viele Jahre mäßigen Zuschauerzahlen am Leipziger Schauspiel deutlich zu erhöhen und pflegte zugleich neue Dramatik in der kleinen Spielstätte. Im Interview mit der Leipziger Volkszeitung vom 28.2. betont Lübbe, dass sein Intendanzende in zwei Jahren bereits bei der Vertragsverlängerung 2021 geplant worden sei. Demnach spielen die Querelen Ende 2022 um die Nichtverlängerung einer Schauspielerin samt Hausverboten und die anschließende demonstrative Trennung der Hausregisseurin Claudia Bauer von Lübbes Haus keine Rolle beim Ende der Intendanz.

Wuppertal: Das schwere Erbe von Pina Bausch

Am Folgetag, dem 1. März, wurde dann die vorzeitige Trennung des Tanztheaters Pina Bausch in Wuppertal von Boris Charmatz verkündet. Der französische Choreograf und Tänzer beendet seine Intendanz nach nur drei Jahren. Er und die Stadt haben Verschwiegenheit über die Gründe der Vertragsauflösung vereinbart. Damit kommt das weltberühmte Tanzensemble nach zwei Leitungswechseln seit 2018 nicht zur Ruhe. Zuletzt schien in Wuppertal, wo Charmatz neue Ästhetiken und Formatvielfalt vor allem mit partizipativen Großtanz-Events etabliert hat, Aufbruchsstimmung zu herrschen.

Ähnlich wie an der Berliner Volksbühne zeigt der Wuppertaler Fall, dass die Epoche nach einer überragenden Intendanz-Figur für die Nachfolger:innen wie die Häuser eine mühsame Durststrecke bedeuten kann. Der Schatten von Castorf und Bausch erschweren eine Weiterentwicklung des jeweiligen Hauses. Um so wichtiger ist die Auswahl einer geeigneten Führungsperson, doch dafür braucht die verantwortliche Kulturpolitik eine Vorstellung davon, ob Kontinuität oder ein radikaler Neuanfang gewünscht ist.

Münster: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Am 12.3. verkündete schließlich die Stadt Münster das Ende der Generalintendanz von Katharina Kost-Tolmein an den Bühnen der Stadt – nach Auslaufen ihres ersten Vertrages im Jahre 2027. Obwohl Kost-Tolmein das Haus seit 2022/23 besonders im Jungen Theater und im Bereich Inklusion vorangebracht hat, gab es Unzufriedenheit über Auslastungszahlen. Oberbürgermeister Markus Lewe betont die schwierige Übernahmephase des Hauses: „Frau Kost-Tolmein hat die anspruchsvolle Aufgabe inmitten der Corona-Pandemie übernommen, und allein das verdient Respekt.“ Dennoch gebe es unterschiedliche Auffassungen zur langfristigen Ausrichtung des Hauses.

Die Pandemie war fraglos eine immense Herausforderung für die Theater und ihre Leitungen. Und sie hat durch stärkere innerbetriebliche Ansprüche aus dieser Zeit des Stillstands auf der Bühne die Theaterarbeit dauerhaft komplizierter gemacht. Die jüngste Veröffentlichung des Spiegel zum vermeintlichen Skandal am Berliner Ensemble um Missstände in der Maskenabteilung sind dafür ein weiteres Indiz. Die Absetzung der Produktion „#Motherfuckinghood” bei gleichzeitiger Solidarisierung der Macherinnen mit den Betroffenen sowie ihrer synchronen Distanzierung vom Artikel deuten an, wie schwierig es geworden ist, öffentlich im Betriebsfeld Theater zu agieren.

Das komplexere Binnenklima von Theater sowie unsere leicht erregbare Social Media-Öffentlichkeit haben die Leitung dieser Betriebe in den letzten Jahren deutlich erschwert. Dazu kommen wirtschaftliche Einschränkungen in zahlreichen Städten und Ländern. Der Beruf von Intendantinnen und Intendanten, allein oder im Team, ist anspruchsvoller geworden. Das Handtuch zu werfen, mag im persönlichen Fall nachvollziehbar sein – in dieser Häufung dürfte es die Theaterlandschaft weiter destabilisieren. Die Verantwortlichen in der Verwaltung sollten bei der Auswahl der Theaterleitung also sorgfältiger denn je vorgehen.

 

Der Text wurde zuletzt am 17.3.2025 aktualisiert.