Oleh Stefan

Zwischen stark und zerbrechlich

Der ukrainische Schauspieler Oleh Stefan wollte seine Bühnenkarriere im vorigen Jahr beenden. Jetzt steht er auf deutschen Bühnen und repräsentiert sein Land.

Ein Schauspieler spricht ein ganzes Stück lang nur über sich selbst. Über seine Identität als ukrainischer Staatsbürger und als Schauspieler, dessen Beruf in Kriegszeiten sinnlos erscheinen kann, zumal während Kollegen nun an der Front ihr Leben riskieren. In „Sich waffnend gegen eine See von Plagen“ an der Schaubühne schaffen es Oleh Stefan und sein Kollege Dmytro Oliinyk zusammen mit ihrem deutschen Counterpart Holger Bülow, gänzlich uneitel sich selbst zu spielen, ihr Innerstes zu offenbaren und gleichzeitig souveräne Darsteller in wechselnden Rollen zu sein, sie zeigen großes Schauspiel. Dabei können Stefan und Oliinyk seit dem 24. Februar 2022 ihren Beruf nicht mehr wie gewohnt ausüben.

Im September 2022 sah ich die Premiere von Stas Zhyrkovs erster Kriegsinszenierung in Deutschland, eine Aufführung, die Grenzen und Chancen des Theaters im Ausnahmezustand abhandelt (siehe auch Seite 35). Besonders faszinierte mich das Spiel von Oleh Stefan: In seiner Verbindung aus Energie und Zerbrechlichkeit zeigt er eine große Bühnenpräsenz und kann zugleich zurücktreten, den anderen die Bühne überlassen, fast verschwinden. Gerne hätte ich ihn in früheren Rollen gesehen, nicht nur auf Fotos vergangener Inszenierungen, die in der Produktion zu sehen waren. 

Oleh Stefan

Oleh Stefan © Annette Hauschild/Ostkreuz

Nach der Premiere genieße ich mit anderen Premierenbesucher:innen vor  dem Theater den lauen Abend nach einer eindrücklichen Vorstellung. Als plötzlich Oleh Stefan neben mir steht, frage ich ihn, ob wir ihn fürs Cover unserer Zeitschrift fotografieren können. Er berichtet, dass er nur zu Aufführungen des Stücks in Berlin sei, sonst in der Ukraine lebe. Das Covershooting fand dann dank der Hilfe der Pressestelle der Schaubühne, der Flexibilität der Fotografin Annette Hauschild und der Unterstützung des Regisseurs Stas Zhyrkov wenige Wochen später in Berlin statt.

Klug, sensibel

Oleh Stefans Mailadresse, die er mir gleich gegeben hatte, war keine große Hilfe. Denn Deutsch spricht er eigentlich nur auswendig Gelerntes auf der Bühne, sein Englisch reicht allenfalls für Small Talk – behauptet er jedenfalls. Ganz sicher bin ich mir da nicht, wo bei ihm wirklich sprachliche Grenzen sind und was Zurückhaltung ist. So einfach das Covershooting auch gelaufen war, so schwierig wurde es, noch Texte und Informationen über Oleh Stefan zu bekommen. Regisseur Stas Zhyrkov bot seine Hilfe an, ist aber derzeit sehr stark an deutschsprachigen Theatern beschäftigt. Glücklicherweise spielte Oleh Stefan dann im März 2023 am Deutschen Theater in „Ha*l*t“, einer Art Fortsetzung der Produktion aus dem Herbst. Wieder zeigte er ein souveränes und gleichzeitig fragiles Spiel. 

Und diesmal konnte ich ihn mithilfe des Regisseurs André Erlen und der Musikerin Mariana Sadovska am Rande der Premierenfeier überzeugen, auf der Stelle ein kurzes Gespräch mit mir zu führen. So flüchtig die Begegnung auf einer Treppe auch war: Wieder traf ich einen klugen, sensiblen Künstler und einen sympathischen, herzlichen Menschen. Die menschliche Zerbrechlichkeit, die seinem Spiel eingeschrieben scheint, beschäftigt ihn ausdrücklich. Sie verbindet uns und trennt uns auch in gewisser Weise; denn im behüteten Deutschland ist für Stefan das Leben ein anderes als in seiner vom Krieg beherrschten Heimat. Wir haben ausgemacht, dass ich Oleh Stefan in der Ukraine besuchen werde, wenn der Krieg zu Ende ist und er dort hoffentlich weiterhin Theater spielen wird. Denn eigentlich war sein Plan, nicht mehr selbst auf der Bühne zu stehen, sich aufs Unterrichten zu konzentrieren; doch seine Student:innen sind in alle Winde zerstreut, an seinem Spiel aber besteht weiterhin Bedarf, in der Ukraine wie in Deutschland.

Oleh Stefan

Oleh Stefan © Annette Hauschild/Ostkreuz

 

„Früher hatte ich immer Pläne für die nächsten anderthalb Jahre; der Krieg hat alles unterbrochen. Wenn mir jetzt die Schaubühne sagt, wir wollen Sie am 18. Mai in Düsseldorf bei einem Gastspiel sehen, dann notiere ich das und lächle. Ich weiß ja gar nicht, ob ich dann nach Deutschland ausreisen kann. Wir alle, die wir im Krieg leben, spüren die menschliche Zerbrechlichkeit besonders stark. Wir wissen nicht, was morgen mit uns passieren wird. Alles, was hier passiert in der deutschen Welt, beobachte ich wie im Kino. Oder wie einen Traum. Und darüber handelt ja das Stück ,Ha*l*t‘. Das Leben hier in Berlin ist für mich keine Realität. Alle Menschen außerhalb der Ukraine betrachte ich wie Unschuldige, sie sind sozusagen jungfräulich. Ich beobachte eine Frau mit Kinderwagen und halte sie für so unschuldig wie Maria. Und wir aus der Ukraine sind alle gesegnet mit etwas, was wir niemals abwaschen können. Ich weiß nicht, ob das ein Gift ist, etwas Tolles oder ein Trauma für immer.“

Aus dem Gespräch mit Oleh Stefan nach der Premiere von „Ha*l*t“

Oleh Stefan, geboren 1965 in Kilija in der Region Odesa (Ukraine), ist Theater- und Filmschauspieler und Mitglied des Left Bank Theatre, Kyjiw, und außerordentlicher Professor an der dortigen Akademie für Varieté und Zirkuskunst. 1987 schloss er sein Studium an der Kunstakademie in Charkiw ab. Von 1987 bis 1996 war er Mitglied des Akademischen Theaters Charkiw und von 1996 bis 2019 des Lwiwer Les-Kurbas-Theaters. 2006 erhielt er den Taras-Schew-tschenko-Preis, 2019 wurde Oleh Stefan als Geehrter Schauspieler der Ukraine ausgezeichnet.

 

Dieser Artikel ist erschienen in Ausgabe 05/2023.