Szene aus "Die Goldfische"

Komisch, aber relevant: Privattheatertage in Hamburg

Die 11. Privattheatertage in Hamburg haben auch 2023 gezeigt, was deutsche Theater ohne große öffentliche Förderung leisten können. Da wurden Klassiker frisch und ungewöhnlich komisch inszeniert und neue Stücke über jüdisches Leben und Künstliche Intelligenz gezeigt. Der Publikumspreis ging an eine freche Komödie.

Die Privattheatertage sind drei in einem: Festival, Wettbewerb und Seismograf. Letztgenanntes Merkmal liefert Anzeichen über Trends und Vorlieben des Publikums, weshalb der Gewinner des Publikumspreises alljährlich mit besonderer Spannung erwartet wird. 2023 ging er an „Die Goldfische“ (nach der gleichnamigen Kinokomödie) inszeniert von Christian Kühn an der Comödie Dresden. Das bedeutet: Das Herz des Publikums gewann ein freches Stück mit politisch unkorrektem Humor, in dem Menschen mit Behinderung die Hauptrollen übernehmen – von den Machern tatsächlich „Inklusionskomödie“ genannt.

49 Theater haben sich beworben

Ansonsten haben bei den Privattheatertagen vor allem zwei Jurys das Wort, so auch bei der diesjährigen Ausgabe. Zunächst sichten je drei fachkundige Menschen die für 2023 eingegangenen Bewerbungen und schlagen pro Kategorie – Komödie, zeitgenössisches Drama und moderner Klassiker – je vier Inszenierungen vor, die nach Hamburg eingeladen werden. Aus diesen zwölf Produktionen wählt dann die Hamburg-Jury einen Preisträger pro Kategorie. Diese Gewinner wurden am Sonntagabend in den Hamburger Kammerspielen während einer Gala mit dem Monica-Bleibtreu-Preis ausgezeichnet.

Und obwohl im vorangegangenen Textabschnitt drei Mal das Wort Hamburg zu lesen ist, sind die Privattheatertage (vom Veranstaltungsort abgesehen) mitnichten ein Hamburger Festival, da alle Privattheater Deutschlands aufgefordert sind, sich zu bewerben: mit einer Produktion der aktuellen Spielzeit in einer der genannten Kategorien. Für 2023 gingen 75 Bewerbungen von 49 Theatern aus neun Bundesländern ein. Darunter waren in diesem Jahr vier Häuser, die sich zum ersten Mal bewarben. Geblieben sind die Angebote von einführenden Interviews und Nachgesprächen, in diesem Jahr mit Susan Atwell als Moderatorin. Auf gleicher Höhe ist auch das Budget: 50.000 Euro kommen von der Stadt Hamburg, 500.000 Euro aus Bundesmitteln.

Theater zwischen Drama und Komödie

Die einzige Hamburger Produktion eröffnete das Festival am 27. Juni im Altonaer Theater: „The Wanderers“ von Autorin Anna Ziegler am Ernst Deutsch Theater beschreibt jüdisches Leben am Beispiel zweier Generationen. Elias Perrig inszeniert das zeitgenössische Drama sensibel für die Tabus orthodoxer Juden und dennoch so heutig, dass die Verzweiflung einer ausgestoßenen jungen Frau und deren Sehnsucht nach Befreiung zu berühren vermag. Den Monica-Bleibtreu-Preis in der Kategorie „(Zeitgenössisches) Drama“ gewann indes das Überzwerg-Theater am Kästnerplatz (ein Kinder- und Jugendtheater!) aus Saarbrücken, das sich erstmals beworben hatte. Stephanie Rolser inszenierte „Boy in a white Room“ nach dem gleichnamigen Roman von Karl Olsberg: Erzählt wird die hochspannende Geschichte eines Jugendlichen, dessen Gehirn von Künstlicher Intelligenz gesteuert wird.

Szene aus "Boy in a White Room"

Premiere Theater Überzwerg „Boy in a white room” mit Gerrit Bernstein, Nicolas Bertholet, Sabine Merziger © Uwe Bellhäuser

 

Als moderner Klassiker gilt beispielsweise auch „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch – eingeladen wurde Philip Tiedemanns Inszenierung vom Schlosspark Theater Berlin. Dessen Intendant Dieter Hallervorden, der auch die Titelrolle übernahm, war offensichtlich der Auffassung, dass auch diese Kategorie eine gute Portion Komik vertragen könne. Gewonnen hat den Preis dann Georg Büchners „Woyzeck“ vom Theater Lindenhof aus Melchingen in Edith Ehrhardts Regie. Sie stellt den verachteten Getriebenen zurück in die Mitte der Gesellschaft und macht klar, Woyzeck könnte jede:r von uns sein.

 

Szene aus "Woyzeck"

Das Lindenhof Theater erzählt das Drama von „Woyzeck” als zeitgenössisches Drama © Richard Becker / Theater Lindenhof

 

Ungewöhnliche Spielstätten in Hamburg

Das Melchinger Theater Lindenhof gehört zu den Konstanten bei den Privattheatertagen in Hamburg. So wie auch die Bremer Shakespeare Company, die 2023 zum vierten Mal dabei war und den Monica-Bleibtreu-Preis in der Kategorie Komödie mitnahm. Als deutschsprachige Erstaufführung gewann „Der seltsame Fall der Prudencia Hart“ von David Greig, gemeinschaftlich übersetzt von der Regisseurin Patricia Benecke und einem der Darsteller, Simon Elias. Der schottische Autor lokalisiert sein Stück in einem heimischen Pub. Folglich sitzt das Publikum (möglichst) an Tischen, denn das Ensemble bespielt den gesamten Raum und versteht die Inszenierung ohnehin eher als gemeinsames Fest denn als Vorführung. Der atmosphärisch dichte Abend überzeugt durch die freie Art des Erzählens samt live vorgetragener Balladen. Im Galionsfigurensaal des Altonaer Museums Hamburg – wo sonst nie Theater gespielt wird – fand die ungewöhnliche Inszenierung den passenden Rahmen.

Szene aus "Der seltsame Fall der Prudencia Hart"

„Der seltsame Fall der Prudencia Hart” der bremer shakespeare company ist ein großes Kneipenfest © Marianne Menke

 

Für das richtige Ambiente bei der Preisverleihung sorgte die Gustav Peter Wöhler Band, immer wieder unterbrochen von filmischen Ausschnitten der zwölf Nominierten und den Laudationes. Durch die Gala führte Julia Westlake. Mit 75 Prozent Auslastung lockten die Privattheatertage kurz vor der Sommerpause noch einmal zahlreiches Publikum in die zehn unterschiedlichen Hamburger Spielstätten.

 

Die Gewinner der diesjährigen Privattheatertage. © Lahola