Wie gelingt künstlerische Zusammenarbeit am Theater?
Foto: Im Schauspiel Leipzig diskutierten Eva Lange, Carola Unser-Leichtweiß, Lisa Jopt, Barbara Behrendt, Ulrich Khuon, Marie Senf, Claudia Schmitz und Marion Tiedtke (v.l.n.r.) © Rolf Arnold Text:Thilo Sauer, am 3. September 2023
Das Schauspiel Leipzig hat zum Thementag „Künstlerisch. Zusammen. Arbeiten.“ eingeladen. Nachmittags wurden in Workshops Fragen zu Kommunikation und Organisation in künstlerischen Prozessen sowie Details zum NV Bühne verhandelt. Auf dem abendlichen Podium diskutierten dann Eva Lange, Carola Unser-Leichtweiß, Lisa Jopt, Barbara Behrendt, Ulrich Khuon, Marie Senf, Claudia Schmitz und Marion Tiedtke.
Es muss sich einiges ändern, da sind sich alle einig bei dieser Podiumsdiskussion. Gestritten wird nun – wie so oft bei solchen Prozessen – um Details. Es geht um den sogenannten NV Bühne, den Standard-Tarifvertrag für Menschen, die auf der Bühne stehen oder anderweitig kreativ im Theater tätig sind.
In Leipzig und Naumburg haben die Regelungen zuletzt für Unmut gesorgt: Denn der Vertrag läuft immer auf ein Jahr befristet und muss dann verlängert werden. Es ist also möglich, sich von Angestellten zu trennen, indem man den Vertrag aus künstlerischen Gründen nicht verlängert. Dass es in Naumburg und Leipzig Menschen traf, die sich gewerkschaftlich einsetzten, wurde hier als Zeichen gesehen, dass die Arbeitsbedingungen auf den Prüfstand gestellt werden sollten.
Mehr Offenheit am Theater
Bei der Begrüßung zum Thementag am Leipziger Schauspiel verschweigt der gastgebende Intendant Enrico Lübbe den Anlass für dieses Treffen nicht: Ende 2022 wurde zwei Schauspielerinnen seines Hauses die Nichtverlängerung ausgesprochen und, nachdem sich Widerstand im Ensemble regte, sogar Hausverbote ausgesprochen. In der Hochphase des Konflikts ist Lübbe „von so vielen Leuten angerufen worden, dass ich gemerkt habe, dass das ein Problem ist, das gefühlt an allen deutschsprachigen Bühnen ein Thema ist“. So kam er mit seiner Dramaturgie-Abteilung auf die Idee für diesen Workshop-Tag.
Es sind vor allem Theatermenschen aus Leipzig und der näheren Umgebung in die Nebenspielstätte Residenz auf dem Spinnereigelände gekommen, aber auch aus Regensburg, Braunschweig und Oldenburg. Nach einem klugen Impulsvortrag von Marion Tiedtke, der Leiterin des Schauspielstudiengangs an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, werden die Anwesenden auf verschiedene Workshops aufgeteilt. Es geht darum, wie an einem Haus sichere Räume für unterschiedliche Bedürfnisse geschaffen werden können, wie Kritik auf Proben besser werden kann, wie Theaterstrukturen sein könnten und nicht zuletzt, wie sich der NV Bühne verändern sollte.
Die Präsentation nach zwei Stunden erinnert an ein Blockseminar in der Universität. Doch es wird auch spürbar, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Situation an ihren Häusern wirklich verändern und verbessern wollen. Für ein Theater, „das man lieben kann, aber nicht muss“, wie Marie Senf vom ensemble-netzwerk später sagen wird.
Praxis der Nicht-Verlängerung in Leipzig und anderswo
Im zweiten Teil des Tages gibt es eine Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen der Arbeiternehmer- und Arbeitgeberseite. Der Frankfurter Professor Thomas Schmidt hatte seine Teilnahme kurzfristig abgesagt. Er wollte so seinen Unmut im Umgang mit der Schauspielerin Katharina Schmidt zum Ausdruck bringen, die das Leipziger Ensemble verlassen musste. Neben vielen Mitgliedern des Leipziger Schauspiels war auch sie anwesend und forderte eine Stellungnahme vom Podium. Eine Überforderung – denn egal, ob gerechtfertigt oder nicht, eine Heilung für diese Wunde war an diesem Tag und in diesem Rahmen nicht möglich.
Über die Vermeidung ähnlicher Wunden wurde viel gesprochen. Denn obwohl das Thema das Tages die künstlerische Zusammenarbeit war, ging es doch vor allem um den NV Bühne. Lisa Jopt, Präsidentin Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger, forderte unter anderem eine Entfristung der Verträge. Claudia Schmitz, geschäftsführende Direktorin des Deutschen Bühnenvereins, entgegnete, dass sich Menschen im Theater immer auf eine künstlerische Zusammenarbeit auf Zeit verabreden würden. Zudem ging es auch um die übliche Praxis, dass Ensembles bei einem Intendanzwechsel teilweise komplett ausgetauscht werden.
Für beide Seiten des Verhandlungstisches war es ein erfolgreicher Tag: Gewerkschaftspräsidentin Lisa Jopt freute sich im anschließenden Gespräch, „auch von der Arbeitgeberseite das laute Bekenntnis zur NV Bühne Reform zu hören”. Sie zeigte sich dabei zuversichtlich, dass eine gemeinsame Lösung gefunden wird, betonte aber auch, dass eine Reform überfällig und zeitnah nötig ist. Für Claudia Schmitz vom Deutschen Bühnenverein war vor allem der Workshop eine Bereicherung, weil dort Menschen aus allen Perspektiven auf den Tarifvertrag geschaut haben: „Wir haben gut herausgearbeitet, wo neuralgische Punkte sind, an denen wir ansetzen können.” Dabei ist Schmitz ein ganzheitlicher Blick wichtig und damit die Frage, wie ein „Theater der Zukunft” aussehen kann.
Guter Wille und guter Umgang
Der ehemalige Intendant des Deutschen Theater Berlin, Ulrich Khuon, berichtete von seiner eigenen Praxis und sprach immer wieder von gutem Willen: dem guten Willen als Gemeinschaft Kunst zu schaffen und zu ermöglichen. So geht es in dieser Debatte letztlich auch um offene Kommunikation und Mitsprache-Pflichten. Braucht es regelmäßig Personalentwicklungsgespräche mit Ensemble-Mitgliedern? Welche Gespräche müssen vor einer Nicht-Verlängerung oder Kündigung geführt werden? Welche Rolle sollte das restliche Ensemble spielen, um dem Machtgefälle der Intendanz entgegenzuwirken? Und wieviel davon sollte Schwarz auf Weiß im Vertrag stehen?
Viele Fragen konnten natürlich nicht abschließend diskutiert werden. Eva Lange und Carola Unser-Leichtweiß vom Hessischen Landestheater Marburg traten für mehr Vielfalt und flache Hierarchien an. Sie wünschten sich, dass der Übergang zwischen zwei Intendanzen mehr Zeit hat – beispielsweise um zu schauen, welche Ensemble-Mitglieder in die neue Vision passen.
So ging der Blick am Ende in Richtung der Rechtsträger, der Kommunen und der öffentlichen Hand. Zum einen sollen sie die Verantwortung tragen, dass ein Machtmissbrauch an Theatern unmöglich wird und die Anforderungen an die Häuser in Form von Einnahmen, Produktionszahlen und Auslastung überdenken – um wieder mehr Freiraum für die tätigen Menschen in den Theatern zu schaffen.