Kino: „Anything goes“
Foto: Plakat „Anything goes“ Barbican Theatre London 2021 © Barbican Theatre London Text:Andreas Falentin, am 24. März 2022
Das internationale Theater ist im Kino stärker präsent, als allgemein bekannt. Dass die New Yorker MET jedes Jahr acht Vorstellungen ins Kino überträgt, darunter 2021/2022 übrigens erstmals zwei zeitgenössische Stücke, wissen noch recht viele Theaterinteressierte. Dass Opern- und Ballettvorstellungen aus London, Paris und – aus bekanntem, furchtbarem Grund vorläufig zum letzten Mal am 6. März – dem Moskauer Bolschoi-Theater auf der großen Leinwand gezeigt werden, schon weniger. Und wer kennt National Theatre Live? Unter diesem Label überträgt das English National Theatre eine Handvoll ausgewählter Produktionen jedes Jahr in europäische Kinos. Aus Deutschland sind hier ganze sechs Kinos dabei, etwa so viel wie in der Schweiz und nur halb so viele wie in Polen.
Am neuesten Versuch, britische (oder besser: angloamerikanische) Theaterkultur in deutsche Kinos zu bringen, nehmen immerhin über 40 Filmtheater in Deutschland teil. Nächsten Sonntag, am 27. März, wird erstmals ein Musical aus dem Londoner West End konzertiert im Kino gezeigt, eine absolute Erfolgsproduktion aus dem Barbican Theatre.
Auch auf deutschen Bühnen kommt dem Musical immer stärkere Bedeutung zu. Gerade in kleinen und mittleren Stadttheatern stammen die Publikumsrenner zunehmend aus dieser Sparte.
„Anything goes“ aber kennen wir von unseren eigenen Bühnen nicht. Es ist ein sozusagen prähistorischer Vertreter des Genres und stammt aus jener Zeit, als man noch nicht einen Stoff hatte, den man gestalten und dessen Emotionalität und Intensität man mit Songs steigern wollte. 1934, als das Stück in New York Premiere hatte, hat man um eine Handvoll zündender Songs eine große Show gebaut. Im Fall von „Anything goes“ hat Cole Porter diese Songs geschrieben. Und mindestens zwei davon sind heute noch bekannt: der Titelsong und „I get a Kick out of you“ (man kennt ihn so oder so oder, etwas profaner, so). P.G. Wodehouse hat drumherum eine alterslos wortwitzige Revue-Klamotte entworfen, mit vielen amerikanischen Musical-Standard-Motiven. So sind die Männer gerne Gangster oder Geistliche und besonders gerne als Geistliche verkleidete Gangster. Die Frauen sind häufig Revue-Tänzerinnen oder Witwen, die gegen das Alter kämpfen – und natürlich besonders gerne alternde Tänzerinnen. Dazu kommt ein illustres Milieu, in „Anything goes“ ein Ocean Liner, und ein kleines Plätzchen für das eigenschaftslose, hübsche, jugendliche Liebespaar.
Warum man sich das anschauen soll? Im Kino? Weil Stücke wie dieses, wenn man schon nicht live nach London kann, auf der großen Leinwand am allerbesten aufgehoben sind. Vielleicht auch, weil diese Produktion eine besondere Geschichte hat. 2011 gewann Kathleen Marshall mit ihrer „Anything goes“-Produktion in New York gleich drei große Theaterpreise für ihre Choreographie, den Tony, den Drama Desk Award und den Outer Critics Award. Nun sind ihre Choreographien hier mitnichten künstlerisch innovativ, über weite Strecken nicht einmal originell, aber sie stimmen einfach! Sie passen großartig auf die Musik und werden perfekt, raumfüllend und vor allem entspannt ausgeführt. Der Rhythmus dieses süßen, großen Nichts hat etwas Magisches. Weil die vorgesehene Hauptdarstellerin während der Produktion erkrankte, sprang Sutton Foster ein, die die New Yorker Produktion mit zum Erfolg geführt hatte. Die Stimme haut nicht durchgängig um, Ausstrahlung, Timing und Tanz tun es. Dazu kommen mit Robert Lindsay als falschem und Gary Wilmot als echtem Priester zwei echte Londoner Theaterlegenden – und genauso echte Charmebolzen.
Wenn man also kein ausgewiesener Musical-Hasser ist und mal wieder einen unbeschwerten Abend haben möchte, kann man Sonntagabend gut ins Kino gehen.
HIER geht es zum Trailer, und ein Kino in Ihrer Nähe, das am Sonntag „Anything goes“ zeigt, finden Sie HIER. Die Aufführung wurde im Herbst 2021 aufgezeichnet. Von 25. Juni bis 3. September ist „Anything goes“ wieder live im Londoner Barbican Theatre zu sehen, dann in neuer Besetzung, unter anderem mit Kerry Ellis, Denis Lawson und Simon Callow.
Ensembleszene aus „Anything goes“, Barbican Theatre London 2021, © Tristan Kenton