Die Jahreskonferenz der Dramaturgischen Gesellschaft 2023
Foto: Kleine Gesprächsrunde © Ali Ghandtschi/dg Text:Elisabeth Pape, am 13. Juni 2023
Die Dramatikerin Elisabeth Pape berichtet für uns von der diesjährigen Jahreskonferenz der Dramaturgischen Gesellschaft, auf der fundamentale gesellschaftliche Themen gewälzt wurden.
Zum Auftakt der diesjährigen Jahreskonferenz der Dramaturgischen Gesellschaft (dg) stand der gesamte Vorstand (der dann in diesem Jahr neu gewählt wurde) auf der Bühne: Das Programm wurde vorgestellt und Harald Wolff, Vorsitzender der dg, verkündete ein paar einleitende Worte zum anstehenden Programm. Ein Ausblick solle geschaffen werden, über die Themen, die in den nächsten fünf Jahren im Theater von Bedeutung sein werden – die drei großen K’s (Klima, Krieg, KI), sowie Migration/Mobilität. Vom 8. bis 11. Juni wurde das Programm in vier Cluster eingeteilt, die im Programm mit folgenden Überschriften versehen wurden:
Cluster 1 Komplexität
Cluster 2 War & Conflict
Cluster 3 Migration: Ethik und Zukunft der Mobilität
Cluster 4 Klima.
An zwei Tagen wurden vier Blöcke gebildet, die sich weiter in drei unterschiedlichen Formaten voneinander unterschieden: Einem Input/einer Keynote für alle auf der großen Bühne, Installationen, die durchgängig besucht werden konnten, sowie unterschiedlichen Tischgesprächen, die zeitgleich stattfanden.
Abends fuhr ein Shuttle-Bus nach Düsseldorf, da auf Einladung des Impulse Theater Festivals die Dramaturgische Gesellschaft in Mülheim tagte. Auf die Schnelle: Das Impulse Festival ist das wichtigste Festival der freien Szene, und so konnte man sich abends nach den gewichtigen Inhalten noch unterschiedliche Showcases anschauen. Da zeitgleich wieder andere, ich nenne es mal „Theater-Events“ liefen, hörte ich raus, dass die diesjährige Dramaturgische Gesellschaft spärlicher besucht war. Das Wetter war zudem auch KRASS, 29 Grad und Sonne, jo apropos Klima.
Zwischen Power-Point-Präsentation und Tischgesprächen
Ich hatte mich im Vorhinein nicht wirklich intensiv mit dem Programm beschäftigt, hatte mich zunächst gewundert, dass ich wahrscheinlich wenige Schreib-Kolleg:innen treffen werde. Dann fühlte ich mich doch insgesamt etwas zurückkatapultiert in meine Zeit, in der ich Theaterwissenschaften studiert habe (definitiv ohne Wertung!). Morgens um 10 Uhr der Input, der am Freitag und Samstag jeweils mit Power-Point-Präsentation begleitet wurde – Freitag unter dem Titel „Alles spricht“ von Felix Stalder: Es sei nichts Neues, aber wir hätten verlernt, aktiv wahrzunehmen. Es gebe zu wenige Subjekte, und so viele Objekte und weiter fallen Begriffe, die ich eifrig in mein Notizbuch eintrage, wie „Sozialer Metabolismus“, „Was heißt Mensch zu sein“, „Was fehlt: Ästhetik der Verbundenheit“, „Poly-Krisen“, naja, und so weiter und so weiter. Zwei Dinge, die Felix Stalder sagte, nehme ich mit und möchte sie auch hier mitgeben, und zwar, dass das Offensichtliche zu leugnen nicht einfach ist und es neue komplexe Formen braucht, um Diversität anzunehmen.
Tischgespräch bei der dg-Jahrestagung ©: Ali Ghandtschi/dg
Anschließend folgten die ersten Tischgespräche; unter anderem eins mit meiner Lektorin Henrieke Beuthner und mir über mein Stück „EXTRA ZERO“, das den diesjährigen Kleist-Förderpreis gewonnen hat. Es trudelten sechs Menschen ein, 50 Prozent davon kannte ich bereits. Schon okay, dachte ich mir. Man musste sich ja letztendlich auch zwischen sechs Tischgesprächen entscheiden, Gegenwartsdramatik war ja nicht wirklich THEMA und mein Text beschäftigt sich auch nicht wirklich mit den drei großen K’s. Das war trotzdem alles ganz nett und in den weiteren Tischgesprächen, denen ich später beiwohnen sollte, bestätigte sich, dass man tatsächlich miteinander in den Austausch kam, um die Themen der Tagung aufs Theater anzuwenden.
Inputs zu den großen Themen
Im zweiten Input beschäftigte sich Elżbieta Korolczuk mit „the anti-gender movement as a global political force in the contemporary world“; wie in der russischen Kampagne tatsächlich der Westen in Bezug auf Geschlecht und Sexualität abgewertet wird – ein viel zu großes Thema, um es hier weiter auszuführen. Genauso wie der dritte Input von Nikia Dhawan; Flucht sei als globales Problem zu begreifen und dabei über den Begriff „Grenze“ und die eigene Community hinauszudenken. Das scheint an diesem Wochenende Thema zu sein – über den eigenen Tellerrand (wie man ja so schön sagt), hinauszublicken. Wie auch das Motto der diesjährigen Tagung schon in den Raum wirft: „Have you tried turning it off and on again?“ Theater für eine Welt im Schleudergang.
Ich habe mal spaßeshalber ChatGPT gefragt, wie es zu dem Motto steht. Die Antwort möchte ich Euch nicht vorenthalten: „Die Phrase Have you tried turning it off and on again? wird oft humorvoll verwendet, um darauf hinzuweisen, dass ein Neustart eines Geräts oft technische Probleme lösen kann. Es ist eine Art Running Gag in der IT- und Computerwelt. Es könnte sein, dass die Verbindung zu einem Theaterstück einen humorvollen Ansatz oder eine Parodie auf dieses Klischee darstellt.“ Aha, weiß ich jetzt nicht liebes ChatGPT, da hast du wahrscheinlich einfach nicht begriffen, dass es sich nicht um EIN Theaterstück handelt, sondern um das Medium Theater, aber hey, schon okay. Ist ja fundamental alles am Bröckeln, da müssen wir ja eh mal schauen, was wir mit den Themen machen, den großen K’s in den nächsten Spielzeiten. Natürlich frage ich mich, ganz einfach aus meiner eigenen Position heraus, was das eigentlich heißt für all die Theaterautor:innen. Das fragte ich mich auch Samstag bei meinem ausgewählten Tischgespräch, bei dem gemeinsam überlegt wurde, wie man dem Digitalen im analogen Theaterraum begegnen könnte.
Der letzte Input kam von Jason W. Moore und thematisierte, jetzt mal wieder ganz grob ausgedrückt, das Anthropozän. Der Schlüsselgedanke war hier, dass wir andere Arbeitsverhältnisse brauchen, die Verteilung von Arbeit und Kraft tatsächlich im Fokus stehen sollte, wenn es darum geht, nach Lösungen zu suchen.
Installation „Tenderness from the Toilet!“ von Zoe Gudović ©: Ali Ghandtschi/dg
Total abgeholt hat mich die 15-minütige interaktive Installation „Tenderness from the Toilet!“ von Zoe Gudović, für die man sich einen Slot reservieren musste. Ich saß auf einem Hocker in einer gemütlich ausgestatteten Toilette mit zwei anderen Menschen im ersten Stock des Ringlokschuppens, ein wenig ab vom ganzen anderen Trubel. Zoe Gudović bot uns zuerst etwas zu trinken kann; Wasser, Tee oder Raki, im Hintergrund lief ruhige Musik, und hier bot sich die Möglichkeit einer anderen Form der Begegnung. Es war ziemlich persönlich, intim und adressierte mich als Individuum. Eine Tarotkarte durfte ich ziehen, und mich fragen, was Tenderness (Zärtlichkeit) für mich bedeutete; anschließend auf ein Stück Toilettenpapier schreiben, wie ich Selbstliebe definiere und das Stück Toilettenpapier zu allen anderen Antworten hängen, die von Menschen stammen, die sich über das Wochenende ebenfalls in der Toilette mit der Frage beschäftigten.
Am Ende frage ich mich als Autorin: Welche Geschichten wollen wir erzählen? Müssen wir nicht viel mehr für ein gezieltes Publikum schreiben, in den jeweiligen Städten schauen, was das Bedürfnis der Menschen ist, in den Dialog treten, und versuchen das Theater als Begegnungsraum zu etablieren? Und vielleicht sowieso mehr das Prinzip der Hausautor:innenschaften etablieren und GEMEINSAM, HAND IN HAND überlegen, wie Theater gleichzeitig politische Praxis sein kann und die Kraft des Erzählens nicht vernachlässigt?
Elisabeth Pape © Daniel Nartschick
UNSERE AUTORIN: Elisabeth Pape, geboren 1995, wuchs zwischen Berlin und Czernowitz/Ukraine auf, studierte Theater- und Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin und anschließend Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. Ihre Stücke liefen als Werkstattinszenierungen sowohl an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin, dem Theaterdiscounter, der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin sowie auf Kampnagel in Hamburg. Ihr mit dem Kleist-Förderpreis prämiertes Stücks „Extra Zero“ wird am 24. Juni 2023 am Staatstheater Augsburg uraufgeführt (Regie: Blanka Rádóczy).