Staatstheater Oldenburg: Vom Freund alter Hochkulturwerte

Als „Blase der Glückseligkeit“ hat Christian Firmbach die theaterbegeisterte Beamtenstadt Oldenburg bezeichnet. Nun beendet er seine Intendanz am dortigen Staatstheater. Eine Bilanz.

Oldenburg ist ein Phänomen. Die Kulturaffinen der Region lieben ihr Staatstheater aus Tradition. Da kann kommen, wer will, und machen, was er will, die Besucher:innen sind und bleiben treu. Was den großen Vorteil hat: Sie lassen sich auch zu künstlerischen Aufbrüchen mitnehmen. Wie es dem Generalintendanten Markus Müller 2006 bis 2014 gelungen ist. Nach Besucherrekorden und überregionaler Anerkennung für ein ästhetisch wie thematisch herausfordernd aktuelles Programm bei gleichzeitiger Erschließung neuer sowie Sanierung alter Spielstätten, hinterließ er ein bestens aufgestelltes Haus in der „Blase der Glückseligkeit“, wie Nachfolger Christian Firmbach die theaterbegeisterte Beamtenstadt bezeichnet.

Neoklassik statt Tanztheater

Er entwickelte das Profil des Hauses aber nicht weiter nach vorn, sondern auf sicherem Boden einige Schritte zurück. Von zeitgenössischem Tanztheater waren viele Oldenburger fasziniert, nun übernahm Choreograf Antoine Jully vom Düsseldorfer Ballett am Rhein die Sparte, die fortan wieder Ballett hieß, sich neoklassisch äußerte – und 400 neue Abonnenten für sich gewinnen konnte. Die kühle Grazie des klassischen Bewegungskanons wurde mit Modern-Dance-Esprit und individuellen Ausdrucksvarianten modifiziert, das funktionierte meist temporeich virtuos, war häufig von erlesener Schönheit und von tiefergehender Auseinandersetzung mit unserer Krisenwirklichkeit befreit.

Firmbach präsentierte sich von Beginn an als seriöser Freund alter Hochkulturwerte. Als ihr leidenschaftlicher Vermittler tanzte er öffentlichkeitswirksam auf Oldenburgs Festen, ob nun beim Opernball, bei Sponsoren oder dem Christopher Street Day und machte auch beim Stadtradeln eine gute Figur. Die Bezeichnung „moderner Konservativer“ gefiel ihm zum Amtsantritt, „wertig“ sollten Produkte seiner Intendanz sein. Also vor allem durch gutes Handwerk überzeugen.

Daran hat er sich gehalten. Davon profitierte vor allem die Oper. Firmbach sorgte dafür, dass das Sänger:innenensemble stets hervorragend besetzt und musikalisch auf erfreulichem Niveau war. Was der Wiederentdeckung von spätromantischen Werken, Barockopern und dem Kanon-Repertoire zugutekam. Beeindruckend war, wie trotz begrenzter Mittel auch Wagners „Ring des Nibelungen“ gestemmt wurde. Gerade die eher konservative Opernkritik schloss das Musiktheater Firmbachs schnell in ihr Herz. Der zur Kofinanzierung auch um kein Musical verlegen war.

Wenig aufregende Regiekonzepte

Aufregende Regiekonzepte, die eine entschlossene Übersetzung uralter Opern ins Hier und Heute finden, waren hingegen kaum auszumachen. Von lebenden Komponist:innen waren – neben dem meditativen Minimalismus eines Philip Glass – nur Amerikaner und Engländer präsent, die mit ihrer Pop-affinen Art moderne Kompositionstechniken mit Jazzelementen und klassischen Operneffekten zu servieren wissen: Jonathan Dove, Russell Hepplewhite und Jake Heggie.

Das Sprechtheater war programmatisch zwiegespalten. Auf der einen Seite agierte ganz in Firmbachs Sinne der Schauspielchef Peter Hailer, indem er ohne großen Schnickschnack betagte und moderne Klassiker präzise am Text entlang inszenierte und inszenieren ließ. Literaturtheater. Auf der anderen Seite agierte Chefdramaturg Marc-Oliver Krampe mit seinem auch an der Universität Hildesheim geschulten Interesse an partizipativen, performativen und interdisziplinären Projekten. Regisseure wie Tim Tonndorf, Martin Laberenz, Rocko Schamoni, Lucia Bihler, Mirja Biel und Kollektive wie Markus & Markus, Frl. Wunder AG sowie Das Helmi kamen nach Oldenburg, was leider selten außergewöhnlich geglückte Produktionen zur Folge hatte.

Außerdem initiierte Krampe das „Banden!“-Festival, um Staatstheater und freie Szene interaktiver zu verknoten. Aber die Arbeiten aus der Hailer- und Krampe-Ecke ergänzten und vereinten sich nie zur gemeinsamen Idee eines diversen Spielplans, sondern wirkten immer wie zwei radikal nichts miteinander zu tun haben wollende Theaterverständnisse. Irgendwann war Krampe dann weg und es gab kaum noch Aufreger im Spielplan. In Erinnerung bleibt vor allem, dass Luise Voigt im Laufe der Jahre mit ihrer Regiekunst experimentieren durfte.

Politisch und darstellerisch ein Trumpf war Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ (2019), weil Regisseurin Maria-Viktoria Linke die Figuren aus der Parabelhaftigkeit in die Gegenwart holte und die Handlung mit der Kritik an der Fleischindustrie im Oldenburger Umland kurzschloss. Nachhaltigkeitspluspunkt: Ebru Tartıcı Borchers wurde ans Haus geholt, beeindruckte mit Maya Arad Yasurs „Amsterdam“ (2022) – und ist nun Hausregisseurin des Firmbach-Nachfolgers.

Überzeugende Neugründung und deswegen auch an Firmbachs neuen Einsatzort Karlsruhe exportiert ist der von Kevin Barz geleitete Technical Ballroom. Dem spartenübergreifenden Projekt diente eine Videowall als Einheitsbühnenbild, in dem eben nicht analoge Kunstformen in digitale Räume gezwungen werden sollten, sondern das Digitale in den analogen Raum geholt wurde. Das kollektive Live-Erlebnis aus Hightech, Schauspiel, Musik und sozialen Themen funktioniert als Zuschauerakquise im Segment Digital Natives sowie Forschungsprojekt für Digitalität im Theater – und steht beispielshaft für die schillernde Seite der ambivalenten Firmbach-Jahre, an deren Ende auch die Vor-Corona-Zuschauerzahlen von mehr als 200.000 Besucher:innen pro Saison wieder erreicht wurden.