Das Körber Studio Junge Regie: Ratlos bei junger Regie
Foto: © Körber-Stiftung/Fabian Hammerl Text:Michael Laages, am 13. Juni 2023
Beim Laboratorium für neue Theaterformen, dem Hamburger „Körber-Studio Junge Regie“ betonten Jury und eingeladene Regiearbeiten die Ferne zum Theaterbetrieb. Das Resümee eines Festivals, das eher Verwirrung spiegelt als Orientierung bietet.
Ein Jahr vor dem 20. Jubiläum zeigte das Körber-Studio Junge Regie bei seiner gerade zu Ende gegangenen Ausgabe: Das Festival mit Inszenierungen der Regieschulen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ist wichtig wie nie. Gerade weil sich die Szene hier so unentschieden wie nirgends sonst präsentiert, siegt die gemeinsame Passion für die Bühne über alle Unterschiede. Abschluss- und Werkstatt-Inszenierungen kamen vom Wiener Max-Reinhardt-Seminar und vom Mozarteum aus Salzburg, von beiden Münchner Regie-Studiengängen (der Otto-Falckenberg-Schule und der Theaterakademie), von den Theater-Instituten in Ludwigsburg, Hildesheim und Gießen, von der Folkwang-Schule in Essen und Bochum, der Zürcher Hochschule der Künste, von der Berliner Hochschule „Ernst Busch“ und von der gastgebenden Hamburger Theater-Akademie, deren neuer „Campus“ als neuer Spielort hinzugekommen ist. Als internationale Gäste waren diesmal Studierende aus Litauens Hauptstadt Vilnius dabei.
Gwinnerperformance „This is not a safe space“
Das Festival selbst hat immer das Zeug zum Ereignis. Im Miteinander so vieler junger Menschen, die sich jeder und jede für sich dieser auch von der Konkurrenz mit anderen Medien bedrohten Kunst verschreiben: der Bühne, dem Theater, der Erkundung und lebendiger Darstellung der Welt und des Menschen. Auf besondere Weise hat das gerade die Produktion gezeigt, die im Finale mit dem Festivalpreis ausgezeichnet wurde, den die rührige Hamburger „Körber-Stiftung“ auslobt, mit 10.000 Euro, die in eine neue Produktion der Künstlerin oder des Künstlers fließen sollen. Von der Jury gekürt wurde „This is not a safe space“, die Produktion von Elena Hoof, die am Institut für Medien, Theater und populäre Kultur der Universität in Hildesheim entstanden ist und eigenes Erleben mit Mutterschaft, Krankenhaus und Pflege dokumentiert.
Diese Jury-Wahl markiert aber auch ein Problem. Denn manchmal scheinen die Mitglieder der Jury mehrheitlich darum bemüht zu sein, Distanz zu schaffen zum Theaterbetrieb, dem sie ja überwiegend selbst angehören. In diesem Fall etwa als Regisseurin (Ruth Mensah), als Dramaturgen am Deutschen Schauspielhaus Hamburg (Ludwig Haugk) oder am Berliner Maxim-Gorki-Theater (Yunus Ersoy), als Berichterstatterin (Shirin Sijotrawalla) und als Intendantin (Kathrin Mädler vom Theater Oberhausen). Gemeinsam hinterließen sie den Eindruck, als gehe es beim „Körber-Studio“ nicht etwa um die überzeugendsten Regie-Talente, sondern um das stärkste Thema einer Produktion. Und so gelangte die unbedingt eindrucksvolle Solo-Performerin Elena Hoof auf’s Siegertreppchen. Sie nennt die eigene Produktion angemessen bescheiden „lecture performance“ und beabsichtigt damit eigentlich nicht viel mehr als eine Art „gespielten Vortrag“. Der war sehr gelungen; aber er verriet eher wenig über die Herausforderung, ein Stück Kunst möglichst intelligent und angemessen einzurichten für die Bühne: mit den Mitteln der Inszenierung, der Regie. Glückwunsch also; aber ein bisschen Bedauern klingt mit…
Elena Hoof (Jurypreis), Lothar Dittmer (Vorsitzender des Vorstands der Körber-Stiftung) Foto: Fabian Hammerl
Auseinanderdriften im Handwerk
Auch andere Produktionen markieren vor allem Distanz zum Theater: am finalen Festival-Tag etwa die aus Gießen, in der der Wiener Schlagzeuger Max Smirzitz Text auf Leinwand trommelte; pro Beat vom Schlagzeug projizierte ein Powerpoint-Programm Worte, Sätze und Sequenzen; von der britischen Autorin Helen MacDonald etwa oder in Begleitung von Mitschnitten mittelmäßiger amerikanischer Fernseh-Blödeleien. Der Effekt war beträchtlich, trotz eher mäßiger Trommelkunst; der Erkenntniswert allerdings gleich null. In jedem Fall war alles ordentlich arrangiert. Aber ist das schon Regie?
Dieses Auseinanderdriften im Handwerk der Bühnenkünste dokumentiert das „Körber-Studio“ schon lange; aber immer wieder von neuem erstaunt die Entfernung zum Alltag im Stadt- und Staatstheater, die sich speziell in Produktionen aus Gießen und Hildesheim manifestiert. Der Weg ist da weit zu einer sehr konventionellen Arbeit an Horváths klassischen Sozial- und Absturz-Drama um „Kasimir und Karoline“. Die, inszeniert von Marion Hélène Weber, kam vom Mozarteum in Salzburg – und hat wirklich nicht überrascht. Horváths Bild von sozialen Abgründen verortet sie stimmig in der Gegenwart – ob das reicht? Auch „Die Zofen“ von Jean Genet, erarbeitet in Berlin von Naemi Friedmann unter Mitwirkung modernen Puppenspiels, zeigt nicht mehr, als das starke Stück immer zeigt; und die an der Münchner Otto-Falckenberg-Schule entstandene, von Carlotta Huys und Elias Emmert sehr ruppig erarbeitete Überschreibung der antiken „Orestie“- und neueren Heiner-Müller-Materials führt den Widerstand der leidenden Elektra allzu brachial und direkt in die gegenwärtigen politischen Kämpfe.
Zu den echten Glanzlichtern gehörte (neben dem Gastspiel der Theater-Hochschule aus Vilnius, die mit „Dust“ in der Inszenierung von Justinas Vinciunas bedrückend und schmerzhaft ein Nazi-Massaker beschwor, das 1943, vor 80 Jahren, in der litauischen Hauptstadt stattfand) eine Arbeit aus Zürich – in „To tell a story is an act of Love“ erzählen die Ensemble-Mitglieder in der Regie von Paula Lynn Breuer tatsächlich (und unter Verwendung von Texten der Dramatikerin Enis Maci) Geschichten von sich selbst. Aus Geschichten von alten Zähnen aus Kindertagen und anderen Reliquien entsteht eine Art religiöses Ritual: über das, was vielleicht von uns bleibt.
Starke Themensetzungen jenseits der Theatergegenwart
Tatsächlich aber überwiegen mehr oder minder starke Themensetzungen: Im Späßchen über ewige Liebe aus Aladdins Wunderlampe von der Folkwangschule in Essen und Bochum, inszeniert von Alexander Vaassen; in der fundamentalen Selbstbefragung eines Lebens im Roman von Mela Hartwig, inszeniert in Ludwigsburg von Glen Hawkins; in der „Theater über Theater“-Phantasie von Josefin Fischer und Elias Geißler, erarbeitet in Hamburg. „Befristet/ Für immer“, Tanju Giriskens muntere Mixtur einer polnischen und einer türkischen Migrations-Biographie, entstanden am der Theaterakademie in München, hat das Publikum vor Ort besonders begeistert – die Produktion erhielt den Publikumspreis. In Frankfurt beschäftigte sich Gil Hoz-Klemme mit dem legendären Fernseh-Interview von Günter Gaus mit Gustaf Gründgens, in Wien Olivia Axel Scheucher mit der (allerdings deutlich überreizten) Militär- und Drill-Analyse unter Soldatinnen und Soldaten, die in einer Elite-Einheit Heldinnen und Helden werden wollen.
All das mag ein interessantes Spektrum gewesen sein über fünf lange Tage hin; aber echte neue Regie-Handschriften blieben rar. Sie trotzdem aufzuspüren, ist stets der schwierige Job für Jurorinnen und Juroren. Erstaunliches Phänomen am Rande: Sehr weit weg blieb das Festival insgesamt von all den Weltuntergangs-Szenarien, die in neuen Stücken aktueller Autorinnen und Autoren derzeit tagtäglich verhandelt werden. Das ist sicher nicht schlimm. Aber woran mag das liegen? An den Vorgaben der Hochschulen selber, wo die Regisseurinnen und Regisseure ja studieren und die die Aufführungen vorauswählen und entsenden? Oder sind Arbeit und Studium das eine und private politische Positionen das andere? Das Jubiläumsfestival im kommenden Jahr liefert da sicher neue Antworten. Jetzt gab die überraschenden Diskrepanz erstmal Stoff zum Staunen.