„Glaube, Liebe, Fussball” vor dem Düsseldorfer Schauspielhaus

In der Fan-Zone

Die Fußball-Europameisterschaft steht vor der Tür. Einige Theater bereiten das Publikum mit fußballaffinen Inszenierungen darauf vor. Auf dem Platz vor dem Düsseldorfer Schauspielhaus hatte ein Fan-Projekt von Peter Jordan und Leonard Koppelmann Premiere: „Glaube Liebe Fußball“.

Selbstverständlich war das nicht: Die Fans (und die, die sich dafür halten) stehen im Zentrum dieses theatralischen Projektes, das auf die Europameisterschaft der Fußball-Männer einstimmen soll. Gerade hatten die pyromanen Begleiter des Pokal-Finalisten aus Kaiserslautern mit handelsüblich-übler Feuerwerkerei fast das Endspiel in Berlin gesprengt. Und beim Zweitligisten in Hannover sind die fan-bedingten Straf-Maßnahmen des Ligaverbandes für Pyro-Störungen in der zurückliegenden Saison derart massiv, dass der Verein die Eintrittspreise erhöht, um Defizite zu verhindern, was die Feuerwerks-„Fans“ allen Ernstes mit Boykott-Drohungen beantwortet haben. Unversöhnlich scheinen derzeit Fehde und Clinch hoch zu kochen zwischen Kicker-Business und nennenswerten Teilen des Publikums. Fans an sich sind gelegentlich fast so abschreckend wie die Monster-Honorare für spielerisches Mittelmaß.

Düsseldorf übt

Da wirkt das finale Motto schon ein bisschen sonderbar, das am Ende von „Glaube Liebe Fußball“, dem Fußball- und Fan-Spektakel am Düsseldorfer Schauspielhaus, auf Banner-Stoff in ganzer Breite der Open-Air-Bühne vor dem Theater prangt: „Ohne Fans ist Fußball nichts.“ Einerseits. Andererseits trudelt er mit den Hardcore-Fans halt auch in immer neue Katastrophen. Die Stimmung in Düsseldorf konnten derlei Gedanken allerdings nicht trüben. Das Publikum war in Hochstimmung, auch weil es noch an den Aufstieg der lokalen Fortuna ins Bundesliga-Oberhaus glauben durfte. Das von Peter Jordan und Leonard Koppelmann eingerichtete Spektakel gab sich vom ersten Moment an lärmend und spektakulär.

Etwa 40 Laien-Darsteller waren in der Rolle weiblicher und männlicher Teilzeit-Fans gegenüber dem Publikum auf den Sitzreihen vor einer riesigen Videowand vor der Schauspielhaus-Front platziert. Düsseldorf übte – der Spielort von „Glaube Liebe Fußball“ ist inzwischen zur „Fan-Zone“ geworden für’s „Public Viewing“ der Europameisterschaft. Und der Ort selber hat schon das Zeug zum Ereignis. Hinter der Publikumstribüne scheint die stufenförmige tiefgrüne Buchsbaumfassade eines Neubaus direkt in den Himmel zu führen. Und in Sichtweite des Theaters wurde das Dach eines anderen Baus zu Füßen des legendären Dreischeibenhauses zur schrägen Grünfläche: eine Art dreieckiges Spielfeld, auf dem der Ball immer nach unten rollt… Das Areal schlägt andere Fan-Zonen um Längen.

Hauptdarsteller ist in Düsseldorf das lärmende Kollektiv. Jeder und jede darf mächtig auf die Tube drücken, von „himmelhoch jauchzend“ bis „zu Tode betrübt“ ist alles gewünscht. Mit Musik von Trommel bis Tuba fügt sich sogar eine kleine Band zur bunt gewandeten Rasselbande. Alle Nationalfarben der aktuellen EM-Teilnehmerländer sind dabei. Wie akkurat Jordan und Koppelmann dieses Ensemble im Probenprozess befeuert und gestärkt haben, ist wirklich zum Staunen; ebenso die forcierte Handwerklichkeit, mit der hier gerade die Nicht-Profis durch den Abend sausen.

Aber auch die dramaturgischen Zutaten haben’s in sich: Sechs Studierende vom Düsseldorfer Studio der Leipziger Theaterhochschule sind mit angemessen abstrusen Reportagen am Spielfeldrand und kleineren Liebeleien innerhalb der Fan-Community beschäftigt, außerdem mit sehr skurrilen Werbe-Spots des fiktiven Projekt-Unterstützers und Haarwaschmittel-Herstellers „Shed and Holders“.

Düsseldorfer Team und Einwechselspieler

Jordan und Koppelmann haben mit Unterstützung des Fußball-Spezialisten Patrick Kleinmann eine gehörige Menge historischen Text-Materials zusammengebastelt, von Prominenten wie Uralt-Kicker Horst Szymaniak oder Giovanni Trappatoni, wie Günter Netzer oder Kevin Kurányi. Das Düsseldorfer Ensemble ist mit Reporterin und Reporter in der WDR-artigen Kabine dabei, kommentiert wird so abgründig wie das heutzutage üblich ist. Dafür meldet sich aus dem Off die Radio-Legende Manni Breuckmann – unter anderem mit Warnungen vor Spielabbruch durch Pyrotechnik. „Pyrotechnik ist kein Verbrechen“ lärmen die Fans zurück, Teile vom richtigen Publikum übrigens auch – na ja.

Viel Fantasie hat das Regie-Team auf den unsichtbaren Kern des Spektakels verwendet: das Spiel selbst. Virtuell sind Weltstars von überall her mit lokalen Größen vermischt; in einem EM-Endspiel von Goliath gegen David, der am Schluss natürlich gewinnen muss. Dieses imaginäre Spiel wird von ganz viel historischen Film-Ausschnitten früherer EM-Spiele auf der Leinwand hinter der Spielfläche begleitet. Beides miteinander zu verknüpfen, das Sichtbare und das Ausgedachte, macht den zentralen Reiz der Inszenierung aus; neben den grandios choreografierten Aktivitäten des Fan-Kollektivs.

Hier ging es nicht um bislang zu wenig geschätzte Minderheiten, wie etwa um die Frauen der Spieler in einer Produktion am Berliner Ensemble, hier wurden auch nicht – wie in Hannover bei „Unsere Elf“ – politisch korrekt möglichst viele Randgruppen im Fußball-Geschäft abgearbeitet, etwa Erwin Kostedde, der der erste schwarze Bundesliga- und DFB-Profi war. Sogar die längst vergessenen Größen der gewesenen DDR wie Andreas Thom, der erste Ost-Profi im Westen, oder Eduard Geyer, letzter Nationaltrainer-Ost, werden in Hannover beschworen… In Düsseldorf wurde vor allem auf die Pauke gehauen, schön derb und sehr stimmungsvoll.

Und dafür, dass die echten Fans in deutschen Stadien nicht ganz so umstandslos auf Friede, Freude und Eierkuchen stehen, kann das Düsseldorfer Team ja nichts. Obwohl das Düsseldorfer Publikum, entfesselt jubelnd am Premierenabend, eine Woche später nicht mehr ganz so enthusiastisch war – als die Fortuna dann doch am VfL Bochum gescheitert war in der Relegation? Wer weiß. Das Theater jedenfalls traf keine Schuld. Die Vorlage fürs Public Viewing auf demselben Platz ist in Düsseldorf glänzend geglückt.

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Aktuelle Theater-Produktionen zum Thema Fußball:

Unsere Elf“, eine etwas andere Nationalhymne von Tuğsal Moğul und Maren Zimmermann (Schauspiel Hannover)

Spielerfrauenvon Lena Brasch und Sina Martens (Berliner Ensemble)

Die Nacht von Sevilla“ von Manuel Neukirchner (Ruhrfestspiele Recklinghausen)

Außerdem wird Leo Meiers Stücke „Zwei Herren von Real Madrid“ momentan auf zahlreichen Bühnen gespielt; in dieser Spielzeit gab es Premieren in Konstanz, Hannover, Göttingen, Hamburg. Die Uraufführung fand im Januar 2023 am Theater Oberhausen statt.

Im Berliner Haus der Kulturen der Welt findet vom 7.6. bis zum 14.7. das Festival Ballett der Massen statt.

Im August-Heft der DEUTSCHEN BÜHNE folgt ein Porträt des Theaterteams Peter Jordan und Leonard Koppelmann.