Felix Krakau steht auf einer nebligen Bühne und hebt die Arme einladend.

Festspiel „Werkstatt Theater“ an der neuen Bühne Senftenberg

Die neue Bühne Senftenberg eröffnet ihre Saison mit dem Festspiel „Werkstatt Theater” im sanierten und erweiterten Betriebsgebäude der Gewerke mit einem ausufernden Programm der verschiedensten Theaterformen und -sprachen.

Durch einen mit Plastik- und Absperrband wehenden Eingang, über dem das Logo der neuen Bühne Senftenberg und allerhand Festspiel-Programmhefte kleben, gelangt man in den Hinterhof des Theatergeländes. Hier war bis vor kurzem noch eine Megabaustelle und allerhand Unfertiges. Doch mit der Eröffnung der neuen Spielzeit feiert das Theater zugleich die Eröffnung ihres neu sanierten Werkstattgebäudes – und das mit einem großen Festspiel-Programm.

Meine Tour führt mich zunächst in die Schlosserei, über den Montageraum und den Malsaal. Zu erleben sind hier einzelne kurze theatrale Happen, die die verschiedenen Kunstformen Spiel, Tanz, Chor bzw. Gesang und Musik widerspiegeln. Es wirkt so, als würden die baldigen Arbeitsräume durch diese Bespielung eingeweiht werden in ihre zukünftige Bestimmung des künstlerischen Erschaffens und Anfertigens.

Letzte Station: Keller

Hier hat die Requisite ihr neues Zuhause gefunden und als einziges Gewerk auch schon bezogen. Wie in einem düsteren, stimmungsvoll angeleuchteten Labyrinth inspizieren wir den Requisitenfundus. Wir umkreisen in einem kleinen Raum eine Installation ineinander verschachtelter Stühle. Alle schreiten vorsichtig drumherum, fast als hielten wir den Atem an – „Achtung Einsturzgefahr“ prangt da auf dem Schild.

Doch plötzlich taucht ein Harlekin im Türrahmen auf. Einer Frau wirft er sich unvermittelt vor die Füße, vier Besucher:innen flüchten daraufhin wie von der Tarantel gestochen in den Gang. Der unberechenbare Harlekin treibt uns in den spärlich beleuchteten Flur – jetzt guckt er mich an. Geh doch bitte einfach weiter, würde ich am liebsten sagen. Stattdessen bleibe ich freudig-starr neben ihm stehen. Das ist Angstspaß pur, als er mir über die Wange streicht und dann durch den Gang davon poltert. Puh, das ist ja nochmal gut gegangen… 

Unter Zeitdruck

Am Ende des Flures sitzt der Harlekin dann mit zwei anderen Clowns in diffusem Licht und musiziert. Das ist wunderschön. Wie aus Chaos Struktur, aus Misch-, Einklang wird. Dann endet beides abrupt – wir müssen weiter, weiter, weiter. Dabei entgleitet mir die Zeit völlig. Und eigentlich wollte ich doch noch in Ruhe den Baustellen-Film im Kino-Container anschauen, in die schnieke Selfie-Box, mal was essen und in die Schmuckausstellung von Louise Zücker, die Schmuckstücke kreiert, die der Vulva nachempfunden sind.

Aber der nächste Programmpunkt wartet schon: Neben einem Live-Hörspiel zu „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“, dem choreografischen Projekt „Wellen schlagen“, das angelehnt ist an einen Text von Virginia Woolf und dem Solo-Stück „Showtime (ein enttäuschender Abend)“ von Felix Krakau, ist die vierte Produktion im Bunde eine Inszenierung des Comics „Der Ursprung der Welt“ von Liv Strömquist. Die Graphic Novel der schwedischen Zeichnerin beleuchtet das Tabuthema weibliche Sexualität und ihr Geschlechtsorgan. Als Sach-Comic deckt Strömquist patriarchal gefärbte Denkmuster auf und entlarvt deren Kulturgeschichte.

Jemand liegt mit gesprizten Beinen auf dem Bühnenboden. Zwei weitere Darsteller:innen beugen sich über ihn.

Mika Bangemann, Clara Luna Deina und Leon Haller beschäftigen sich mit dem Körper. Foto: Steffen Rasche

Einen Comic auf die Bühne zu übersetzen, ist kein leichtes Unterfangen. Es gilt für die Bildsprache eine theatrale Übersetzung zu finden. Die drei Spieler:innen Mika Bangemann, Clara Luna Deina und Leon Haller werfen sich in jede Situation ungemein körperlich hinein. Sie geben der Vorlage Strömquists, eine eigene ironische, kommentierende Note. Ausdrucksstark sind die Momente, in denen sie dem Inhalt das Musikalische hinzufügen. Wenn Haller am Mischpult die Beats durch den Raum wummern lässt und Bangemann die Geschichte der griechischen Göttin Demeter exaltiert rappt.

Bereichernd sind die eingestreuten Interviews von Frauen jeglichen Alters, die über ihre Scham des Menstruierens, ihr Unwissen über ihre eigene Anatomie und Vorstellungen der weiblichen Sexualität sprechen. Trotzdem bleibt der Ton untheatral referierend. So ist das Zu Erlebende wahnsinnig erhellend und anschaulich für Menschen, die Strömquists Comic nicht kennen. Für andere fällt der Mehrwert geringer aus.

Großes Finale

Eine knappe Stunde später geht es final auf der Hauptbühne weiter mit Elina Finkels Inszenierung von „Don Quijote“. Den Schinken von Miguel de Cervantes in eineinhalb Stunden mit drei Spieler:innen und einer Zeichnerin auf die Bühne zu bringen, ist eine Herausforderung. Logischerweise muss die Regie dafür selektieren. Finkes Inszenierung büßt dadurch aber auch einen durchgängigen Handlungs- oder Spannungsbogen ein. Episode reiht sich an Episode, Kapitel an Kapitel. Je weiter es dem Ende des Abends zugeht, desto weitere Sprünge macht die Erzählung. Das wirkt mitunter willkürlich und lässt einen schwerlich eintauchen in die Fantasiewelt des Protagonisten. Wer nicht so fest im Sattel des Stoffs sitzt, ist hier irgendwie verloren. 

Dadurch, dass über das Scheitern des fahrenden Ritters nur berichtet wird, bleibt es distanziert. Man sieht die Blessuren Quijotes, erahnt den Ärger derer, auf die der ritterliche Fantast trifft und die ihm diese Blutergüsse zugefügt haben. Aber der Moment des Konfliktes bleibt blind. Die Szenen setzen ein, wenn der Möchtegern-Ritter geschlagen ist und deprimiert zurück trottet. Somit sind die drei Spieler:innen, Christina Dom, Roland Kurzweg und Matthias Manz auf sich zurückgeworfen und müssen irgendwie die Spannung zwischen sich halten.

Don Quijote steht mit einem Buch in den Händen auf der Bühne und schaut verträumt zum Himmel.

Don Quijote (Roland Kurzweg) fantasiert sich in die Welt seiner Ritterromane. Foto: Steffen Rasche

Die Inszenierung spielt ihre Stärke aus, wenn die Kunst Olesia Golovachs mit den Figuren interagiert. Golovach zeichnet live das Bühnenbild auf der ansonsten leeren Bühne. Die Idee dahinter ist klar: Cervantes erschafft Welten, Don Quijote erschafft seine Welt, und das Theater live vor den Augen des Publikums. Das löst sich ein, wenn Quijote gegen die berühmten Windmühlen kämpft, die Golovach eben nicht nur auf den Bühnenhintergrund malt, sondern auch noch rotieren lässt. Das Zeichnen verstärkt Quijotes Fantasiewelt nur noch. Aber es braucht eine weitere Ebene, einen Widerpart der brutal anderen Wirklichkeit. Dieser Bruch fehlt. Die tragische Komik der Geschichte bleibt so verborgen.

Zum Abschluss dieses Festspiel-Marathons lädt das Theater noch zu Tanz und DJ-Vibes in den Malsaal und Verweilen im Montageraum. Ein überbordender Theatertag geht zu Ende, konzeptionell vielfältig, bunt und überzeugend. Insgesamt hätte dem Festspiel in Senftenberg ein weniger straffer Programm- und Zeitplan gut getan. Denn nach diesen sechseinhalb Stunden bin ich wirklich satt an szenischen, choreografischen, auditiven und visuellen Eindrücken.