„Fantastisch denken zu können, das ist das Beste an diesem Job“
Foto: Nora Abdel-Maksoud im Untergeschoss der Münchner Kammerspiele © Tobias Kruse/Ostkreuz Text:Anne Fritsch, am 1. Mai 2024
Nora Abdel-Maksoud ist Autorin und Regisseurin. In ihren Stücken gelingt ihr etwas, das selten ist im deutschsprachigen Theater: Kritik an der Gesellschaft zu üben und gleichzeitig bestens zu unterhalten.
Nora Abdel-Maksoud hat ein neues Stück geschrieben, und wie nicht anders erwartet, ist es lustig und ernst und vor allem sehr verrückt. Alles dreht sich um Lütje Wesel, seines Zeichens aufstrebender FDP-Politiker und leider chronischer Hosenpiesler. Und da es nicht so ganz dem leistungsorientierten Weltbild der FDP entspricht, sich vor Menschenansammlungen vor Stress in die Hose zu pinkeln, muss eben dieser Lütje Wesel wieder in Form gebracht werden. Gedopt quasi. Und so ist „Doping“ ein irrwitziges Spiel um das Streben nach Macht und die Ohnmacht dem eigenen Körper gegenüber. Da die öffentlichen Krankenhäuser kaputtgespart sind, wird Lütje Wesel in die ominöse Heilanstalt von Dr. Bob gebracht, der nun retten soll, was noch zu retten ist.
2021 hatte Abdel-Maksoud mit ihrer Erbschaftskomödie „Jeeps“ einen Coup an den Münchner Kammerspielen gelandet. Mit der ihr eigenen Mischung aus Gesellschaftskritik und Humor gelang ihr scheinbar spielerisch, wonach sich das Publikum nach Corona und einem holprigen Intendanzwechsel sehnte: gutes Schauspieler:innentheater, witzig, spritzig und trotzdem voller Substanz. „Doping“ könnte ein ähnlicher Erfolg werden. Ein paar Wochen vor der Premiere habe ich Nora Abdel-Maksoud auf der Probebühne getroffen. Es macht Spaß, mit ihr zu reden. Eines der Wörter, die sie am häufigsten verwendet, ist „Freude“. Es ist ein Schlüsselwort für ihr Arbeiten. Nora Abdel-Maksoud ist Autodidaktin, was das Schreiben und das Regieführen angeht; eigentlich hat sie Schauspiel studiert. Während der Ausbildung hat sie Kindertheater am Hans Otto Theater in Potsdam gespielt, später unter Shermin Langhoff am Ballhaus Naunynstraße und am Gorki Theater in Berlin. Irgendwann hat sie gemerkt, dass ihr der Druck als Schauspielerin zu groß ist. „Natürlich habe ich jetzt auch Druck, aber den kann ich besser verstoffwechseln“, sagt sie. „Als Regisseurin lasse ich zur Premiere hin los, werde von Probe zu Probe lockerer. Ich übergebe immer mehr ans Ensemble und die Theatermaschinerie.“
WIE EIN SCHWAMM ALLES AUFSAUGEN
Ihre Diplomarbeit handelte von der „Repräsentation von Frauen im Film und darum, was für eine Vollkatastrophe das ist“, erzählt sie, „ein bisschen um #MeToo, bevor es das gab“. Vom Ballhaus Naunynstraße kam der Vorschlag, daraus ein Stück zu machen. Es war ihr erstes: „Hunting von Trier“, ein Roadmovie über zwei Schauspielerinnen, die Lars von Trier töten. 2012 war das. Im Rahmen eines Debütantinnenabends – „eine Art feministischer Aufschlag“ – inszenierte sie ihr Stück. „Das war tatsächlich der Wendepunkt“, sagt sie im Rückblick, „weil ich gemerkt habe, wie viel Freude mir das macht, eine Welt zu erschaffen. Das fand ich einen ganz anderen und anders bereichernden Prozess.“ Ein kompletter Bruch mit der Schauspielerei war es nicht, schließlich musste sie weiter ihre Miete bezahlen. Aber in dem Moment, wo sie vom Schreiben und Inszenieren leben konnte, hat sie mit dem Spielen aufgehört.
Wenn sie sich an ein neues Projekt macht, hat sie zuerst ein Thema: Bei „Jeeps“ war es das Erben und die Ungleichverteilung, bei „Café Populaire“ der Klassismus. Bevor sie schreibt, geht sie in die Bibliothek und recherchiert, saugt „alles auf wie ein Schwamm“. In der Vorbereitung zu „Doping“ war sie auch bei einer Kundgebung von Christian Lindner im bayerischen Landtagswahlkampf auf dem Münchner Odeonsplatz. „Da waren zwei professionalisierte Pöbler, die die ganze Zeit so Sprüche reingerufen haben“, erzählt sie. „Dein Champagner wird kalt“ oder „Keiner mag dich“. Die beiden haben es ins Stück geschafft. Irgendwann destillieren sich Figuren heraus, später ein Plot. Mittlerweile hat sie sich die Schauspielerin Eva Bay als dramaturgische Beraterin dazugeholt. Bevor Nora Abdel-Maksoud dann mit dem „richtigen Schreiben“ anfängt, trifft sie das Ensemble der Inszenierung zu einem Workshop. „Dann gehen meine Ideen durch alle Köpfe durch, wir besprechen uns und improvisieren. Mit diesem ganzen Rucksack schließe ich mich ein und schreibe. Da tauche ich dann komplett ab und rede mit niemandem drüber.“ Wenn sie wieder auftaucht, hat sie eine Probenfassung.
„EIERSTOCK-LOTTERIE“ UND ERBRECHTSREFORM
Die Stücke von Nora Abdel-Maksoud sind beim Lesen witzig; auf der Bühne entfalten sie ein fulminantes Tempo und eine in deutschen Stadttheatern seltene Komik. Sie schafft Figuren, die sich ob ihrer widersprüchlichen Charaktere einbrennen ins Gedächtnis, und Situationen, die weiter nicht entfernt sein könnten vom Alltag und diesen trotzdem so treffend beschreiben, dass man den Theatersaal verlässt mit einem Kopf voller Gedanken und Fragen an die Realität da draußen. Statt moralisierend zu erörtern, ob es gerecht sei, dass die „Eierstock-Lotterie“ darüber entscheidet, wer welche Startchancen im Leben hat, geht sie in „Jeeps“ einen Schritt weiter und schildert eine Erbrechtsreform, nach der das Los entscheidet, wer was bekommt. Das Stück ist das Kondensat einer neoliberalen Gesellschaft, eine perfekt getimte Screwball-Komödie.
Es ist ein Gebrauchsstück im besten Sinne des Wortes. Kein Wunder, dass es ziemlich oft nachgespielt wird. Abdel-Maksoud, die selbst Schauspielerin ist, schreibt ihren Schauspieler:innen Rollen, in denen sie brillieren können. Auf der Schauspielschule hat sie gemerkt, „dass Frauenfiguren ganz oft nicht mehrdimensional sind, sondern in alten beknackten Stereotypen verharren. Deshalb war mein Impuls, mehrdimensionale, witzige und abgründige Frauenfiguren zu schreiben“. Sie wollte Figuren spielen, die schwarzhumorig sind, fein, leicht und witzig, alles zugleich. Im gängigen Kanon fand sie diese Frauen nicht. Darum begann sie, selbst welche zu erfinden.
Twist-Achterbahn
In ihren Stücken gibt es im Grunde nur Hauptfiguren, es sind Ensemblestücke im besten Sinne des Wortes. Auch in „Doping“ hat jede:r Einzelne diese absurden Knicke und Brüche in der Biografie, die tragisch sind und aberwitzig. Da gibt es den Arzt mit den Schwimmhäuten und die Geburtshelferin, die selbst als Sturzgeburt in der Steiff-Fabrik zur Welt kam und in die Stopfmaschine plumpste. „Dieses ganze surreale Zeug, das liebe ich“, sagt Abdel-Maksoud und strahlt. „So fantastisch denken zu können, das ist das Beste an diesem Job.“ Einfach zu sagen, eine Figur ist arm und mag keine reichen Leute, ist ihr zu plump, also wollte sie noch „einen Twist einbauen“. Und aus dem einen Twist werden ganz schnell eine ganze Menge Twists, eine komplette Achterbahn.
Sie ist keine, die psychologisch an Figuren herangeht, nähert sich ihnen „von außen nach innen“. „Die Leute, die mit mir arbeiten, brauchen voll viel Geduld und Vertrauen in die Struktur, in die sie sich begeben“, sagt sie. „Sie müssen Spaß haben an einem Arbeiten, das erst am Ende eine Leichtigkeit kriegt.“ Vorher ist das ganz viel Üben und Wiederholen, eine fast sportliche Herausforderung. Der Schauspieler Vincent Redetzki ist einer von denen, die diese Art, zu arbeiten, lieben. Vor der „Doping“-Premiere sagte er mir: „Nora Abdel-Maksoud ist so eine empathische, offene, professionelle und unglaublich genau guckende Person und Regisseurin. Sie ist ein unglaublich gutes Barometer dafür, ob etwas funktioniert.“ Anders gesagt: Wenn sie lacht, hat er Vertrauen darin, dass auch das Publikum lachen wird.
Theater als politischer Raum
Dass sie ihre Stücke immer selbst schreibt, scheint komplett logisch. Vielleicht wären ihr Texte von anderen einfach nicht verrückt genug. Sie würde es nicht für alle Zeiten ausschließen, auch mal einen Fremdtext zu inszenieren, aber bisher hat es sich nicht ergeben. Eines aber weiß sie: Tragödien sind nicht ihre Stärke. „Witzigerweise war mein erster Impuls damals am Ballhaus Naunynstraße, einen Monolog für eine starke Frauenfigur zu schreiben“, erzählt sie. „Aber das war dann irgendwie Sarah Kane für Erstsemester.“ Wenn es emotional wird, müsse man den Schauspieler:innen auch „auf den Pelz rücken“. „Was wir hier machen, ist ganz viel Handwerk und Fleißarbeit und ein Gebimse und Ringen um Freiheit und Struktur. Darin bin ich gut“, sagt sie. „Ich könnte nicht acht Wochen lang eine psychologische Tiefenschürfung machen. Obwohl ich es toll finde, mir so was anzuschauen.“ Was Nora Abdel-Maksoud sehr wohl kann, ist, Schärfe mit Leichtigkeit zu verbinden, Szenen auf den Punkt zu timen, Pointen zu setzen. Kategorien wie E versus U sind ihr „wumpe“. Sie findet es lustig, alles zu mischen und reinzunehmen, was ihr gefällt. „Natürlich interessiere ich mich nicht für Sachen, die total seicht sind oder irgendwelchen Quatsch reproduzieren“, stellt sie klar. „Wenn es zu platt wird, bin ich raus. Aber nicht, weil es Unterhaltung ist, sondern weil es einfach nicht gut ist.“
Sie glaubt an das Theater als politischen Raum. Und daran, dass sie als Autorin und Regisseurin eine Verantwortung hat, wenn sie eine Bühne wie die der Kammerspiele zur Verfügung hat. „Da überlege ich mir schon genau, wofür ich die nutze“, sagt sie. „Ich habe noch nicht erlebt, dass die Leute mit Fackeln aus der Vorstellung gestürmt sind und eine Revolte angestoßen haben.“ Aber was Theater schaffen kann, ist, einen Diskurs unter die Leute zu tragen. „Mein Erfolgserlebnis ist, wenn die Leute danach über das Stück sprechen und ihre eigene Verwicklung darin. Wenn es bei der Sektflöte nicht nur darum geht, wer am besten gespielt hat, sondern auf einmal ein Bewusstsein für das Thema da ist.“ Da kann das Theater dann doch ein Hebel sein und Knackpunkte bewusst machen, glaubt Abdel-Maksoud. Wenn das klappt, ist es toll. „Wir sind kein Fernsehsender, und ich bin nicht Obama. Die Reichweite von Theater ist nicht so groß. Aber sie ist auch nicht gering.“