Intendantin Iris Laufenberg und Festivalleiter Bernd Isele

Autor:innentheatertage mit neuem Atelier

Die Autor:innentheatertage am Deutschen Theater in Berlin haben ein neues Förderkonzept für renommierte Dramatiker:innen entwickelt. Ob das sinnvoll ist, bleibt trotz einer teils unterhaltsamen „Langen Nacht“ fraglich.

Das Deutsche Theater hat zwar eine neue Intendantin, Iris Laufenberg, die Autor:innentheatertage, die der ehemalige DT-Intendant Ulrich Khuon vor über 20 Jahren kreiert hat, gibt es aber weiterhin. Einerseits ist das Festival eine Leistungsschau gerade uraufgeführter Theaterstücke – in diesem Jahr waren zehn Gastspiele aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu Gast. Andererseits zeigt es in der „Langen Nacht der Autor:innen“ bislang unveröffentlichte Texte.

Dramatik mit Herz?

Zur Eröffnung spricht die deutsch-amerikanische Autorin Patty Kim Hamilton über den Stand neuer Dramatik in Deutschland: „Ich wünsche mir ein Theater mit Herz. Das ist, was mir oft in der deutschen Dramatik fehlt – ein Theater, das blutet, ein Theater, das bewegt. Wo sind die Gefühle? Wo ist die Nähe? Why should I care? Ich glaube, wir Autoren und Autorinnen brauchen Mut, denn wir leben in einer Gesellschaft, die Emotionalität unter der Intellektualität und Rationalität einordnet.“

Im Vergleich zum gefühlsbetonten US-amerikanischen Theater, mit dem Hamilton aufgewachsen ist, ist das sicher richtig. Die Entwicklung im deutschsprachigen Theater ist tendenziell allerdings eine andere: Die Zeit der hoch intellektuellen Diskurs-Stücke, die ihre eigene Klugheit ausstellen möchten, ist längst vorbei. Selten sind so viele persönliche, emotionale und gleichzeitig gesellschaftspolitische neue Stücke entstanden wie in den letzten zehn Jahren.

Hamiltons Schlussfolgerung ist deutlich: Damit gute neue Texte entstehen können, brauche es Theater, die den Autor:innen nicht nur die große Bühne freiräumen, sondern ihnen gute Schreibbedingungen ermöglichen. Beides sieht Hamilton bei den Autor:innentheatertagen gegeben, wo sie in diesem Jahr die neue Rolle der „Atelier-Autorin“ einnimmt.

Das neue Förderkonzept des Festivals versäumte die Intendantin Iris Laufenberg bei der Eröffnung leider vorzustellen. Bislang hatte nämlich eine Jury aus rund 150 bis 200 eingesandten fertigen Stücken drei oder vier auswählt, die dann bei den Autor:innentheatertagen uraufgeführt wurden, zuletzt in Kooperationen mit Theatern in Österreich und der Schweiz. Im Anschluss wanderten die Inszenierungen in deren Repertoire. Dieses Jahr dagegen gab es weder Ausschreibung noch Wettbewerb noch Uraufführungen. Aber was dann?

Was bist Du? Caren Jeß‘ „Von der Mutter ein Gruß“

Die Autorin Caren Jeß, ebenfalls „Atelier-Autorin“, erklärt es in ihrem Stück-Fragment „Von der Mutter ein Gruß“ schließlich selbst, als der Text am Ende des Festivals bei der „Langen Nacht der Autor:innen“ als kurz geprobte Werkstattinszenierung präsentiert wird: „Guten Tag und herzlich willkommen zum Atelier Jeß! Das Autor:innen-Atelier ist ein neues Format am Deutschen Theater Berlin. Es soll die Arbeit von Autor:innen in den Theaterbetrieb integrieren, Networking fördern und nicht zuletzt die Möglichkeit bieten, sich künstlerisch auszuprobieren, ohne dem Druck zu unterliegen, einem Publikum am Ende etwas Passables präsentieren zu müssen. Schön, dass Sie da sind!“

Was klingt wie eine Begrüßungsrede vor Beginn sind tatsächlich die ersten Zeilen des Stücks. Es spricht: der Autorinnenkommentar. Bei der einmaligen Präsentation in der „Langen Nacht“ sitzt die Autorin höchst selbst auf der Bühne und spielt: die Atelier-Autorin im Schreibprozess. Immer wieder unterbrochen von ihrem Freund. „Was bist du?“ fragt er. Und sie: „Atelier-Autorin. Das ist wie Hausautorin, nur ein anderes Wort. Also mehr, dass man sich ausprobiert. So alles kann, nichts muss.“

„Von der Mutter ein Gruß“ von und mit (l.) Caren Jeß

„Von der Mutter ein Gruß“ von und mit (l.) Caren Jeß. Foto: Jasmin Schuller

So ist es. Das Deutsche Theater hat vier renommierte, preisgekrönte Autorinnen eingeladen (neben Patty Kim Hamilton und Caren Jeß sind das Ewe Benbenek und Nele Stuhler), ein Jahr lang mit enger Anbindung ans Haus zu schreiben – ohne, dass am Ende ein fertiges Stück abgeliefert werden muss. Nur: Präsentieren will das DT in der „Langen Nacht“ dann eben doch etwas von diesen Autorinnen. Und das sind vier Arbeitsstände ganz unterschiedlicher Stadien und Niveaus.

Von Caren Jeß‘ Text zum Beispiel existiert bislang geschätzt nur die Hälfte. Die aber ist top. Denn was zunächst wirkt wie eine selbstzentrierte Verlegenheitsnummer, entpuppt sich zu einem so amüsanten wie erhellenden Einblick ins kreative Kraftzentrum von Schriftsteller:innen. Und landet schließlich mit einem allzu soften Jungadler und seinem koksenden Schäferhund-Kumpel bei einer skurrilen, klugen Geschichte über die Ursprünge des Faschismus im Menschen.

Herz-Licht willkommen : Nele Stuhlers „Leichter Gesang“

Komischer und herzerwärmender Höhepunkt der „Langen Nacht“ aber ist Nele Stuhlers Fragment „Leichter Gesang“, entstanden in einer langen Arbeitsphase mit dem DT-Ensemble und mit Spieler:innen des inklusiven Berliner Ramba-Zamba-Theaters. Ein anarchisches, infantiles Sprachspiel über das so irre komplexe Verstehen von Worten und Zusammenhängen. Aus „Herzlich Willkommen“ wird mit einem einzigen kleinen „t“ ein „Herz-Licht“, das „kommen-will“. Aus „nicht vergessen einzuladen“ – entwickelt sich „ein Zu-Laden. Ein Laden, der zu ist“.

„Leichter Gesang“ bei der Langen Nacht

„Leichter Gesang“ bei der Langen Nacht. Foto: Jasmin Schuller

Der Regisseur FX Mayr inszeniert das als herrlich bunten Kindergeburtstag in den grellsten Farben, der alle Menschen willkommen heißt. Mit welcher Freude sich die DT-Schauspieler:innen und die Ramba-Zambas den Raum erobern und zeigen, dass wir alle ein bisschen „Leichte Sprache“ nötig haben – das setzt Maßstäbe fürs inklusive Theater.

Überhaupt setzen alle vier Inszenierungen auf Musik, Unterhaltung, Leichtigkeit und Spielfreude. Selbst Hamiltons arg sentimentales DDR-Drama um einen ostdeutsch-koreanischen Mann auf der Suche nach seinen Wurzeln blickt einen hier mit einem hübschen Augenzwinkern an. Und sogar Ewe Benbeneks dröge und theaterdiskurslastige Iphigenie-Befragung in Wortwiederholungsschleife wird mit vielen Gassenhauern und Slapstick ein wenig aufgeholfen.

Nachhaltige Lange Nacht?

Doch trotz der klugen, knalligen Unterhaltung an vielen Stellen dieses nur kurz geprobten Abends erschließt sich das neue Konzept der „Langen Nacht“ nicht recht. Zwar leuchtet es ein, die Schreibbedingungen der Autor:innen mit langfristigen Schreibateliers verbessern zu wollen. In einer deutschsprachigen Theaterlandschaft, die in der vergangenen Saison ganze 200 neue Stücke zur Uraufführung gebracht hat, möchte man allerdings nicht auch noch Fragmente von vier renommierten Autorinnen sehen – sondern sorgfältig ausgearbeitete Dramen. Ohne Druck, wann immer sie fertig sind, gern auch erst bei den nächsten Autor:innentheatertagen.

Zudem schmerzt die Ressourcen-Verschwendung des Inszenierungsaufwands für eine einzige Vorstellung. Was bleibt? Einige Texte, auf deren Uraufführung man sich schon jetzt freuen darf.