Die 25. Baden-Württembergischen Theatertage
Foto: Szene aus der Eröffnungsproduktion "Romeo und Julia" (Theater Heilbronn) © Jochen Quast Text:Björn Hayer, am 6. Juli 2022
Bei den 25. Baden-Württembergischen Theatertagen in Heilbronn wird nach der Zukunft gefragt – und doch in einer mediokren Gegenwart verharrt
Wo sich Romeo und Julia im Laufe der langen Theatergeschichte sicherlich noch nie gefunden und verloren haben, dürfte eine Schwimmbadruine gewesen sein. Umso mehr überrascht diese gigantische Kulisse in Elias Perrigs Inszenierung am Theater Heilbronn, die – wegen eines Coronafalls im Team der geplanten Uraufführung von „Hawaii“ – die 25. Baden-Württembergischen Theatertage eröffnete. Während sich die beiden hoffnungslos Verliebten in Shakespeares Tragödie über den Zwist ihrer Familien hinweg annähern und dabei zugleich auf den allzu bekannten Abgrund zusteuern, erweist sich das Bühnenbild zunehmend als durchaus tragende Idee. Assoziationen zum tödlichen Sprung vom 3-Meter-Brett ins wasserlose Becken bis hin zum Spiegelbild des heruntergekommenen Bads für einen verlorenen Gemeinsinn in der Gesellschaft kommen auf. Was der architektonische Aufbau leistet, wird indessen nur begrenzt durch das Spiel eingelöst. Abseits einiger die Stimmung aufmotzender Sounds und hipper Kostüme, die die Protagonisten als Punks anmuten lassen, vermag die Regie kaum zündende Bilder zu entwickeln.
Und leider ist diese Inszenierung des Branchentreffs in gewisser Weise paradigmatisch für einige weitere Darbietungen des Festivals. Denn insgesamt herrscht der Eindruck des Mediokren. Dabei hätte man sich von manchen Stückentwicklungen viel erhofft. So etwa von der immersiven Performance „Remote Heilbronn“ von Rimini Protokoll / Stefan Kaegi. Entgegen der Vorannahme, man würde bei dem (mittels Kopfhöreransagen geführten) Gang durch die Stadt mehr über die Stadt erfahren, konfrontiert uns die Stimme im Ohr mit plakativer Kapitalismuskritik in der Mall oder lässt uns – recht oberflächlich – über das Verhältnis von Individuum und Masse nachdenken. Auf dem Weg trifft man weder auf Schauspieler:innen noch auf sonst Überraschendes. Beinah ungenutzt bleibt die erzeugte Gruppendynamik, nur unzureichend wird man dazu angehalten, die eigenen Positionen und Haltungen als Teil einer sozialen Ordnung zu überdenken. Schade!
Gewiss dürfte die Ambition gewesen sein, uns genauer über das nachzudenken zu lassen, was in Zeiten nach Krieg und Corona ein neuer Kitt für Gemeinschaft sein könnte. Denn diese Überlegung hätte unmittelbar zum Motto des Festivals „Weitblick“ gepasst. Sei es Gianina Cărbunarius auf die Bühne gebrachtes Werk „Waste!“ vom Schauspiel Stuttgart, das Müll- und Umweltverschmutzung zum Thema hat, oder die Dystopie einer Gesundheitsdiktatur, Juli Zehs „Corpus Delicti“, das zu den Eigenproduktionen des Theaters Heilbronn zählt – die mithin kluge Kuratierung setzt mit dieser Ausgabe voll und ganz auf zukunftsgerichtete, teils visionäre Dramen. Eigentlich bietet genau ein solcher Zuschnitt das ersehnte Therapeutikum für eine zerrissene Gesellschaft.
Szene aus „Was man von hier aus sehen kann“ (Württembergisches Landesbühne Esslingen), Foto: Patrick Pfeiffer
Aber Anspruch und Realität können eben auch auseinanderklaffen, vor allem dann, wenn die Stückkomposition zu wenig hergibt. Im Falle der Inszenierung von Mariana Lekys Roman „Was man von hier aus sehen kann“ durch Jan Müller an der Landesbühne Esslingen wiegt die Miesere gleich doppelt schwer. Sowohl die Bühnenfassung als auch die Regieumsetzung gleichen einem Desaster. In zähen zweieinhalb Stunden nehmen die Zuschauer:innen teil an verschiedenen Verluststationen der heranwachsenden Luise. Zuerst stirbt ihr bester Freund, dann geht der Vater auf Weltreise, schließlich stirbt ihre Großmutter Selma, bevor sich beinahe noch ihre beste Freundin das Leben nehmen will. Dazwischen trifft sie noch auf ihre große Liebe, einen buddhistischen Mönch, und beobachtet das Verhalten all jener Mitmenschen, die schauspielerisch nicht nur fad, teils laienhaft verkörpert werden, sondern die als Figuren allesamt charakterlich unprofiliert wirken. Damit man der Inszenierung ihre völlige Rat- und Ideenlosigkeit nicht anmerkt, kippt der Regisseur die Chose mit Popsongs und banalen Slapstickeinlagen zu. Der Bauernstadl lässt grüßen. Für Unterhaltung wird gesorgt. Aber was einen dieser Abend, der an sich schon phrasenhafte Text und dessen Realisierung sagen sollen – man weiß es nicht.
Wirkt hier noch der Corona-Blues nach? Zumindest beschwören bei der Eröffnung noch die Politiker:innen die Macht und Bedeutung, die Unverzichtbarkeit und gar demokratiestabilisierende Funktion des Theaters, das sichtbar wieder oder noch auf der Suche nach sich selbst ist. Zur Ironie der Geschichte gehört übrigens, dass weder die Staatssekretärin Petra Olschowski noch der Oberbürgermeister von Heilbronn, Harry Mergel, nach ihren Reden der Aufführung von „Romeo und Julia“ beigewohnt haben. Wenn es bei diesem Festival um Zukunft gehen soll, dann wird diese offenbar erst in der nachfolgenden Generation von Politiker:innen richtig in den Blick genommen.