Demis Volpi wird Intendant des Hamburg Ballett
Foto: Demis Volpi © Sigrid Reinichs Text:Ulrike Kolter, am 20. Oktober 2022
Es ist die mit Abstand wichtigste Personal-Entscheidung der Ballettwelt in diesem Jahr. Und sie ist mit überaus glücklicher Hand getroffen worden: Demis Volpi, derzeit noch Ballettdirektor und Chefchoreograf des Ballett am Rhein in Düsseldorf, wird ab August 2024 Nachfolger von John Neumeier als Ballett-Intendant an Hamburgs Staatsoper. Ein 36-Jähriger beerbt den heute 83-Jährigen, der dann sagenumwobene 51 Spielzeiten lang die Geschicke der Hamburger Compagnie geführt haben wird und in seiner Karriere mehr als 150 Choreografien geschaffen hat.
Seit 1973 ist Neumeier Ballettdirektor und Chefchoreograf in der Hansestadt, seit 1996 ist er offiziell Ballettintendant. Der Deutsch-Argentinier Volpi derweil ist erst seit Beginn der Spielzeit 2020/21 beim Ballett am Rhein, wo die Pandemie den Spielplan seiner ersten Saison weitestgehend lahmgelegt hatte. Seitdem jedoch ist Volpi fulminant durchgestartet.
Nach einer Tanz-Ausbildung in Buenos Aires, Toronto und an der John Cranko Schule in Stuttgart absolvierte er die ersten Tänzerjahre beim Stuttgarter Ballett; eigene Choreografien folgten seit 2006. Mit dem Handlungsballett „Krabat“ feierte Volpi seinen ersten großen Erfolg, wurde zum Hauschoreografen des Stuttgarter Balletts ernannt – und hat sich seitdem als sensibler, dabei stilistisch anspruchsvoller Geschichtenerzähler einen Namen gemacht. 2017 kam mit Benjamin Brittens „Tod in Venedig“ eine Koproduktion der Staatsoper Stuttgart, des Stuttgarter Balletts und der John Cranko Schule eine weitere wichtige Arbeit Volpis heraus; nationale wie internationale Auszeichnungen folgten.
Narration und Abstraktion – beides liegt ihm. Und dennoch wird es gerade sein Talent für Handlungsballette sein, das den Ausschlag gegeben hat für die Ehre und Herausforderung, der Volpi nun in Hamburg entgegen geht. Empfohlen hat er sich dafür in Düsseldorf/Duisburg zuletzt im Oktober 2021 mit „Geschlossene Spiele“ nach einem Schauspiel des argentinischen Schriftstellers Julio Cortázar, in dem Volpi mit Humor und Tragik Figuren im Stile des magischen Realismus auftreten lässt; hinreißende Typen, die uns tänzerisch mehr über ihr Schicksal erzählen, als Worte es vermutlich je könnten.
Im Juni dieses Jahres brachte Volpi den Fünffachabend „Vier neue Temperamente“ an der Rheinoper heraus – mit Kreationen von vier Choreograf:innen, die je eines der antiken Temperamente vertanzen ließen. Den Part des Melancholikers hatte John Neumeier übernommen, „from time to time“ ist eine Reminiszenz an vergangenes Glück. Im tosenden Schlussapplaus trat der Altmeister demütig hinter die Tänzerinnen und Tänzer zurück, sichtlich bewegt. Die Zeichen stehen gut, dass ein herausragender Künstler sich ab 2024 wohlverdient und nun auch beruhigt ob seiner Nachfolge zurückziehen kann.