CD: Peter Maxwell Davies: „Mr. Emmet Takes a Walk“
Foto: Cover „Mr. Emmet Takes a Walk“, PsaCD1002 © Psappha/Naxos Deutschland Text:Andreas Falentin, am 11. August 2022
„If you deal with it you don’t do it“ sagte der Komponist Peter Maxwell Davies 2006 in einem 20-minütigen Interview mit dem Journalisten Paul Driver. Er meint das Thema seiner 2000 uraufgeführten Oper „Mr Emmet takes a Walk“: Es geht um den Selbstmord des Protagonisten. Wir erleben den berühmten letzten Moment vor dem Tod, an dem das Leben an einem vorüberziehen soll (und wovon, logisch, noch niemand hat berichten können) als ein chaotisches, aber überraschend transparentes musikalisches Netzwerk für drei Solo-Stimmen und zehn Musiker:innen. Mr. Emmet brabbelt absurde Aufzählungen und hat skurrile Begegnungen. Inhaltlich wie musikalisch entstehen Linien, die – bereits im Hören – gleichzeitig konkret und abstrakt anmuten und einen definitiv nicht kalt lassen. Sie scheinen nirgendwohin zu führen und klingen doch endgültig.
Was vielleicht damit zu tun hat, dass der 1934 geborene Maxwell Davies zum Zeitpunkt der Komposition an einem Punkt in seiner Karriere war, wo er sich von den großen Formen – Oper und Sinfonie – endgültig verabschieden wollte. So trägt „Mr. Emmet goes for a walk“ viele der bekannten, bekannt schwer zu fassenden Züge eines Spät- und Abschiedswerkes. Und klingt doch frisch und unerhört. Vielleicht auch deshalb, weil Librettist (und Uraufführungsregisseur) David Pountney und der Maxwell Davies ein eingespieltes Team waren. Peter Maxwell Davies‘ größter Anspruch an ein Libretto – „You have to leave the music plenty of ,Lebensraum’“ ist hier voll erfüllt. Der Komponist hat sogar die Möglichkeit, Momente einzubauen, die er selbst „Memory Music“ nennt. Hier lässt er musikalische Motive seiner Hausgötter Bach, Gabrieli, Mozart und Schumann (auch dramaturgisch) kunstvoll an die Oberfläche treiben.
Die Uraufführung fand im Jahr 2000 auf den Orkney-Inseln statt, der Wahlheimat des Komponisten. Sie wurde produziert von Psappha, dem führenden professionellen Ensemble für die Aufführung neuer Musik im Norden Großbritanniens, 2005 in der Uraufführungsbesetzung eingespielt, die, warum auch immer, erst jetzt greifbar ist. Unter dem Dirigenten Etienne Siebens wird fantastisch musiziert, sehr dynamisch, sehr transparent. Der Bariton Adrian Clarke gestaltet Mr. Emmet mit fast hermetisch introvertierter Intensität, der Bass-Bariton Jonathan Best und besonders die Sopranistin Rebecca Caine beeindrucken durch große Musikalität und noch größere Spielfreude und Wandlungsfähigkeit.
So ist diese CD, die als Bonustrack dankenswerterweise das oben angesprochene Interview enthält, nicht nur ein Genuss an sich, sondern auch ein Grund mehr, sich mit den eigenwilligen dramatischen Hervorbringungen von Peter Maxwell Davies zu beschäftigen, was ja an deutschen Theatern immer wieder passiert, sei es mit „The Lighthouse“ (Der Leuchtturm), „Eight Songs for a Mad King“ oder eben „Mr. Emmet Takes a Walk“, zuletzt am Theater Freiburg in einer Inszenierung von Herbert Fritsch ausprobiert. Für die aktuelle Spielzeit sind immerhin die Kinderoper „Cinderella“ in Graz und das hierzulande vollkommen unbekannte „Miss Donnithorne’s Maggot“ in Kombination mit den „Eight Songs“ in Mainz geplant.
Kleine Pointe am Schluss: Peter Maxwell Davies‘ Rückzug von den großen Formen hielt „nur“ knapp zehn Jahre. Zwischen 2011 und 2013 entstanden seine Sinfonien 9 und 10 sowie die Oper „Kommilitonen!“, Kompositionen, die von großer Lebendigkeit und noch größerer Eigenwilligkeit leben, gerade in der Haltung. Hier hört man weder Alter noch Abschied. 2016 ist Peter Maxwell Davies nach schwerer Krankheit gestorben.
„Mr Emmet Takes a Walk“ ist unter der Nummer PsaCD1002 beim hauseigenen Label von Psappha erschienen und wird in Deutschland über Naxos vertrieben. Das Album erscheint am 12. August und kann HIER physisch und digital erworben werden. Einen Ausschnitt gibt es HIER zu hören.