CD: Drei neue Alben klassischer Sängerinnen
Foto: v.l. im Uhrzeigersinn: Anna Lucia Richter: Brahms, Pentatone; Anna Prohaska: Kafka-Fragmente, Pentatone; Fatma Said: Kaleidoscope, Warner Classics © Warner Classics Text:Andreas Falentin, am 1. September 2022
Drei klassische Sängerinnen haben neue Alben herausgebracht (CDs sagt man ja nicht mehr), alle drei sind nach wie vor auf dem Karrierevormarsch, alle drei singen Opern, legen aber einen großen Fokus auf Lied und Konzert. Und alle drei Aufnahmen machen große Lust, Anna Prohaska, Anna Lucia Richter und Fatma Said live zu begegnen, sei es auf der Bühne oder im Konzertsaal. Die Reihung folgt keiner Wertung, sondern dem Alphabet.
Anna Prohaska (mit Isabelle Faust): György Kurtag, Kafka-Fragmente
Die Kombination Sopran-Violine ist ungewöhnlich. Man braucht etwas, bis man sich hineingehört hat. Dann erlebt man eine wunderbare Performance. Anna Prohaska, deren schlankem Sopran im barocken und romantischen Repertoire ein wenig der sinnliche Glanz abgeht, ist hier ganz bei sich, erfüllt György Kurtags aus Briefen, Tagebuchaufzeichnungen und kurzen Erzählungen destillierte 40 oft sehr kurzenLieder von 1987 intensiv und feinsinnig. Mit stimmlichen Mitteln macht sie die bei Kafka grundlegende Überforderung durch das Leben erlebbar, drückt die Stimme zusammen, befreit sich wieder, scheint nervöse Fluchtversuche zu machen, zieht ihren Sopran gleichsam in sich selbst zurück. Dabei harmoniert Prohaska blendend mit Isabelle Faust, deren Geigenspiel eine dramaturgische Doppelfunktion hat: Hier findet sowohl die Seelenpein des einzelnen als auch die feindliche Außenwelt beredten Ausdruck. Das ist naturgemäß keine einfache, aber sehr lohnende Kost.
György Kurtag: „Kafka-Fragmente“ mit Anna Prohaska (Sopran) und Isabelle Faust (Violine) ist am 19. August als HMM902359 bei Harmonia Mundi France erschienen. HIER gibt es eine Kostprobe zu hören, HIER kann das Album physisch und digital erworben werden. Anna Prohaska singt im Oktober im Wiener Museumsquartier in Agostino Steffanis „La lotta d’Ercole e Archeloo“ und im März die Ilia in Mozarts „Idomeneo“ an der Berliner Staatsoper.
Anna Lucia Richter (mit Ammiel Bushakewitz): Brahms, Lieder
Zweifellos verfügt Anna Lucia Richter über einer der schönsten Stimmen unserer Zeit. Sie hat das Fach gewechselt, tummelt sich jetzt in dunklen Mezzo-Farben mit der gleichen Schwerelosigkeit wie zuvor in lichten Sopranhöhen. Bemerkenswert ist ihre Liebe zu, ihr Umgang mit der Sprache, der zu bestechender, aber nie ausgestellter Artikulation führt. Im Lied „Von ewiger Liebe“ nähert sie sich in der Ausdifferenzierung der Vokalfärbungen fast den Manierismen einer Elisabeth Schwarzkopf an, bleibt aber immer textverständlich und vernachlässigt nie den Text zugunsten der Musik. So wirkt Brahms fast wie ein kleiner, gar nicht unbedingt weniger begabter Bruder Franz Schuberts. Zumal die Partnerschaft zwischen Richter und dem Pianisten Ammiel Bushakewitz eine magische Vertrautheit ausstrahlt. Nicht verschwiegen werden soll, dass Anna Lucia Richter nicht immer der Gefahr entgeht, die Schönheit ihrer Stimme momentweise opernhaft auszustellen, etwa in „Anklänge“ und „Feldeinsamkeit“. Was aber nicht viel ausmacht. Wichtig ist – und das ist bei Brahms deutlich schwieriger als etwa bei Schubert –, dass Richter und Bushakewitz uns wirklich mitnehmen auf eine Reise ins Reich der späten Romantik, wo vieles schon wie aus dem Rückspiegel betrachtet klingt. Und dass sie es fast durchgängig auf jene schlichte und gleichzeitig verspielte Weise tun, die Anna Lucia Richter nun mal auszeichnet. So geraten die beiden bekannten Wiegenlieder am Ende des Albums zu kleinen Wundern aus Zärtlichkeit und Ironie.
Johannes Brahms: „Lieder “ mit Anna Lucia Richter (Mezzosopran) und Ammiel Bushakewitz (Klavier) ist am 2. September unter der Nummer PTC5186986 beim niederländischen Label Pentatone erschienen. HIER und HIER gibt es zwei Hörproben, die eine Vorstellung von der Bandbreite des Albums vermitteln, HIER kann es digital und physisch erworben werden.
Auf der Opernbühne ist Anna Lucia Richter in dieser Spielzeit in der Titelrolle von Offenbachs „Perichole“ (im Januar im Theater an der Wien) und als Sesto in Händels „Gulio Cesare in Egitto“ (im Mai an der Oper Köln) zu erleben.
Fatma Said: Kaleidoscope
Auf den ersten Blick: Ein Gemischtwarenladen. Französische Oper, deutsche Operette, Tango, Kurt Weill und Serge Gainsbourg, „I would have danced all night“ und „I wanna dance with somebody“. Beim ersten Hören: Ein Erlebnis. Denn Fatma Said singt nicht nur mit außergewöhnlich sinnlichem Timbre in Französisch, Spanisch, Englisch und Deutsch, als würde sie alle vier Sprachen fließend beherrschen. Sie findet in all diesen so unterschiedlichen Stücken – und dieser Eindruck ist so stark, dass er als verbindendes Element locker durchgeht ¬– wirkliche Eleganz, die sich oft mit ungekünsteltem Charme verbindet. Hier singt jemand das, worauf er Lust hat und zeigt uns, warum. Und strengt sich nicht an. Das alles hört man besonders schön in einer 30er-Jahre Trias. Da folgt Kurt Weills „Youkali“ auf Friedrich Schröders „Ich tanze mit dir in den Himmel hinein“ und Irving Berlins „Cheek to cheek“. Für jedes Stück hat Said andere Farben, keines macht ihr Mühe. Und man bekommt gute Laune, ob man will oder nicht.
„Kaleidoscope“ mit Fatma Said (Sopran) und vielen anderen ist am 2. September bei Warner Classics erschienen. HIER singen Fatma Said und die Mezzosopranistin Marianne Crebassa die Barcarole aus „Hoffmanns Erzählungen“, die auch auf dem Album zu hören ist, HIER ist das Album physisch und digital zu erwerben. Ab 22. November singt Fatma Said die Vitellia in „La Clemenza di Tito“ auf einer Tournee mit dem Orchester Le Musiciens de Prince-Monaco unter anderem in der Hamburger Elbphilharmonie.