Buch: Zur Transformation der Theaterlandschaft
Foto: Wolfgang Schneider/ Fonds Darstellende Künste e.V.: Transformationen der Theaterlandschaft, transcript verlag, ISBN 978-3-8376-6321-1 © transcript verlag, Bielefeld Text:Roland H. Dippel, am 17. August 2022
Die Lage ist ernst für freie Theater, vor allem für die Menschen, die dort arbeiten – und das ja bekanntlich nur selten im Angestelltenverhältnis. Dennoch ließ es sich in Deutschland, Österreich und in der Schweiz lange irgendwie vom Theater existieren. Man lebte eben von Projekt zu Projekt, von zweckgebundener Förderung zu zweckgebundener Förderung. Dann kam die Pandemie. Alles änderte sich. Vor allem führte das Implementieren von Überbrückungshilfen mittelbar zu Einsparmaßnahmen in der Kunstförderung.
Die Herausgeber des Bands „Transformationen der Theaterlandschaft“, Wolfgang Schneider und der Fonds Darstellende Künste e.V., haben nun Studien zusammengestellt, um die aktuelle Situation und den sich rapide wandelnden Bedarf der Freien Darstellenden Künste zu erfassen.Tatsächlich haben sich in den letzten Jahren viele Strukturen geändert, dazu kommen Herausforderungen für die nahe und mittlere Zukunft (Homing, Digitalisierung, Ökobilanz, Nachhaltigkeit, internationale Diplomatie), die für die bisherigen Förderstrategien keine Rolle spielten.
Neben ökonomischen beschäftigt sich der Band auch mit technischen und ästhetischen Entwicklungen. Kai van Eikles, Laura Pföhler und Christoph Wirth erstellten etwa unter dem Titel „World Building“ eine Phänomenologie von Liveacts in digitalen und physischen Räumen sowie an deren performativen Schnittstellen, eine hervorragende Einführung in die technischen und Ausdrucksmöglichkeiten des digitalen Theaters.
Es ist durchweg zu bemerken, dass die Parameter Ort, Zeit und Liveness durch geänderte Aufführungsbedingungen, aber auch durch Verschiebungen von Produktions- und Vorbereitungsphasen, in Fluss geraten. Das setzt eine große ästhetische und praktische Flexibilität voraus, die für das Publikum nachvollziehbar und attraktiv sein muss. Naheliegend ist die Empfehlung, Förderungen von projektbezogenen Aufführungszielen in eher offene Entwicklungsprozesse und flexibel handhabbare Aufführungsformate zu überführen.
Der Band erörtert zudem von der Pandemie unabhängige, aber durch diese beschleunigte Entwicklungen und deren Bedarf, zum Beispiel Diversität im Verhältnis zu bestehenden und potenziellen Leitungsformen von Kultureinrichtungen. Nicht nur an großen etablierten Festivals und Subventionstheatern sind heftige Diskussionen zwischen den Polen „Weitermachen wie bisher“ und „alles muss sich ändern“ unter den Gesichtspunkten von Finanzierbarkeit in der Energiekrise, Publikumsschwund und einem ethisch legitimen Sponsoring im Gange. „Transformationen der Theaterlandschaft“ benennt und definiert eine Menge der anstehenden Herausforderungen und Krisenphänomene der Kulturgegenwart. Die Bewegungen, um nicht zu sagen: Erschütterungen, sind fulminant. Das zeigt sich schon daran, dass Auswirkungen des Kriegs Russlands gegen die Ukraine in den im Juli 2022 erschienenen Band noch keinen Eingang finden konnten. Die Realität ist seit zwei Jahren weitaus schneller als alle Visionen und Praxisentwürfe.
Wolfgang Schneider / Fonds Darstellende Künste e.V. (hg.): „Transformationen der Theaterlandschaft“, 256 Seiten, transcript verlag, ISBN 978-3-8394-6321-5. Der Band ist am 6. Juli 2022 erschienen und kann HIER kostenfrei als PDF heruntergeladen oder als Buch zum Preis von 35 € bestellt werden.