Cover „Vor der Hacke ist es immer dunkel“ Hundefänger Verlag

Buch: Rolf Mautz: „Vor der Hacke ist es immer dunkel“

Wer am Theater kann das schon von sich behaupten, dass es ein Stück gibt, das den eigenen Namen trägt – und zwar nur den! Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss wurden von Thomas Bernhard ja im Trio verewigt, Rolf Mautz hingegen, Jahrgang 1946 und aus Bad Godesberg, war vor zwanzig Jahren alleiniger Widmungsträger im zweiten Stück der Dramatikerin Sibylle Berg: „Herr Mautz“. Für ihn schrieb die Autorin den Text über einen unscheinbaren Mann in sehr ferner Fremde, und Mautz war Mautz in Klaus Weises Uraufführung in Oberhausen. Natürlich gehört die Episode zu den schönsten in den „Erinnerungen an ein SchauspieLeben“, die Mautz jetzt vorlegt – in erster Linie aber erzählen die detailliert und faktenreich Geschichten aus der Geschichte: der (west)deutschen Theater-Geschichte der 60er und 70er Jahre. Sehr viel erwacht da zum Leben, was fast vergessen war.

Aus der Zeit als Schauspielstudent in Bochum stammt der Bergmannsspruch, der jetzt den Buchtitel stiftet. In Bochum lernt Mautz noch den Schauspielhaus-Patriarchen Hans Schalla kennen – und den jungen Ignaz Kirchner, der schon damals im Suff (aber irgendwie auch wie zum Zwecke der Legendenbildung) Gläser zerbeißt. In München studiert Mautz weiter – und spielt erste kleine Rollen in Hans Lietzaus Ensemble am Residenztheater. Der Student klaut aber auch im Supermarkt und landet im Knast. Als junger Wilder, geprägt und gefährdet durch biographisch-familiäre Brüche (die Scheidung der Eltern, die Zeiten in Heim und Internat), steht er am Beginn des eigenen „SchauspieLebens“ – das ihn über die Jahrzehnte hin reich macht: an Erlebnissen und Erfahrung.
 
In Köln gehört er zum Schauspielensemble von Hansgünther Heyme – und ist einer der kämpferisch-linksradikalen Agitatoren am Haus, auf dessen Dach der Kollege, Freund und Genosse Roland Schäfer Fahnen hisst. Und das „Arbeitertheater“ verteilt Flugblätter an den Werktoren. Hier formen sich die wichtigen Freund- und Partnerschaften mit Mautz mittendrin – der Regisseur Christof Nel gehört zunächst dazu, Roland Schäfer und Angelika Thomas, außerdem Schäfers Cousin Jürgen Kruse, Barbara Nüsse sowie immer wieder und vor allem Burghart Klaußner, mit dem er viel vom Lebensweg teilt (und auf dem Segelboot später auch ein schönes Stück Alter); Klaußner begleitet die Mautz-Erinnerungen jetzt im Vorwort.

Der linksradikale Elan der frühen Jahre ist enorm in dieser Zeit – wer erinnert sich heute schon noch daran? Mautz singt vor Tausenden bei einem der großen Feste der italienischen Kommunisten jener Epoche, zugleich sieht er viel vom eigenen Träumen und Hoffen beschädigt und zerstört bei einer desillusionierenden Gastspiel-Reise nach Rumänien. Er erlebt reichlich politische Bewegung in den Ensembles, und ziemlich viel Enttäuschung auch: am mitbestimmten Frankfurter Schauspiel (wo Alexander Wagner zum wichtigen Vorbild wird), am Hamburger Schauspielhaus, wo er (wieder mit Klaußner) die Kampnagelfabrik mit erobert als Spielstätte, danach, wieder auf Empfehlung von Schäfer, an der „Schaubühne“ in Berlin. In Berlin wächst die wichtigste Partnerschaft von allen – mit der Autorin Elfriede Müller. Deren erster, prägender Erfolg, die Einakter-Kombination „Damenbrise/Herrengedeck“, entsteht gemeinsam mit Mautz.

In Berlin erleben Müller und Mautz den Fall der Mauer. Sie folgt ihm nach Oberhausen, wo Mautz seine in  Darmstadt erprobte Zusammenarbeit mit Regisseur Klaus Weise fortsetzt; und auch ins heimatliche Bonn wechselte er weiter mit dem Intendanten. Von all diesen Stationen erzählt Mautz jetzt im Buch mit Energie und Eigensinn. Und auch die Passagen aus dem Internat, um den feinsinnigen, intellektuell zerbrechlichen Lehrer-Vater und die psychisch gefährdete Mutter berühren sehr. Überhaupt sind die Mautz-Familien jeweils ein Kosmos für sich – im richtigen Leben und später im Theater. Ein gutes Lektorat wäre dem Buch zu wünschen für eine mögliche Zweit-Auflage – aber schon jetzt reißt uns „Herr Mautz“ hinein in eine grandios-verrückte Zeit.

 

Rolf Mautz (M.) in der Uraufführungsinszenierung von „Herr Mautz“ von Sibylle Berg © Thilo Beu

Rolf Mautz (M.) in der Uraufführungsinszenierung von „Herr Mautz“ von Sibylle Berg
© Thilo Beu

 

„Vor der Hacke ist es immer dunkel – ein SchauspieLeben” ist Anfang des Jahres im Hundefänger Verlag erschienen und HIER bestellbar.