Buch: Oskar Schlemmer und der Tanz

Der Tanzwissenchaftler Frank-Manuel Peter würdigt in einem monumentalen Band über Oskar Schlemmer vor allem das „Triadische Ballett“ und deren eigentliche Urheber Albert Burger und Elsa Hötzel.

Wer kennt die theatralen Figuren „Taucher“, „Spirale“ oder „Goldkugel“? Diese und alle weiteren Figuren des „Triadischen Balletts“ feierten im letzten Jahr ihren 100. Geburtstag. Am 30. September 1922 erlebte das Werk im Kleinen Haus des Württembergischen Landestheaters Stuttgart seine Uraufführung.

Oskar Schlemmer und der Tanz“ – so der Titel des neuen Buches von Frank-Manuel Peter, Leiter des Deutschen Tanzarchivs Köln. Was der Autor hier zum Thema zusammengetragen und aufbereitet hat, ist phänomenal. Im Zentrum des Werkes steht fraglos das „Triadische Ballett“. Hier bewusst nicht Schlemmers „Triadisches Ballett“, denn mit der Legende der alleinigen Urheberschaft räumt der Autor gründlich auf.

Späte Rehabilitierung von Albert Burger und Elsa Hötzel

Die Zeit war längst reif für einen neuen Umgang mit Kostüm, Bewegung, Raum, Musik und Handlung. Das „Triadische Ballett“ lag förmlich in der Luft. Dem glücklichen Zusammentreffen kreativer Künstler:innen Stuttgarts ist sein Entstehen zu verdanken. Die eigentlichen Urheber nämlich sind Albert Burger und Elsa Hötzel, Solo-Tänzer bzw. Solotänzerin in an der Königlichen Hofoper. Sie sind interessiert an den modernen Strömungen in Tanz, Musik und Bildender Kunst. 1912 fahren sie nach Dresden-Hellerau, um sich mit der neuen von Emile Jacques-Dalcroze aus Genf mitgebrachten „Rhythmischen Gymnastik“ bekannt zu machen. Sie haben die Idee zu einem neuen Ballett dieser Art. Zum Freundeskreis dieses Paares gehört auch der bildende Künstler Oskar Schlemmer.

Frank-Manuel Peter charakterisiert Schlemmer als einen Menschen mit einer „bemerkenswert egozentrischen Sichtweise, gepaart mit der von ihm (selbst) mehrfach erwähnten eigenen Eitelkeit“. Dieser Charakter ist gleichzeitig Katalysator und Ausbremser des Projektes. Er drängt sich und seine Kunst so sehr in den Vordergrund, dass er als Laie neben den beiden Tänzern auf der Bühne agiert. So geht ein Teil des „Triadischen“, nämlich die Dreier-Besetzung und die damit möglichen Szenen-Folgen und Figuren-Konstellationen, auf diese Geltungssucht zurück. Zur Uraufführung heißt es dann bei Peter: „Die nicht ganz geglückte, ursprünglich angestrebte Dreiheit von Tanz, Musik und Malerei (Kostüme, Bühnenbild) findet sich nun in den drei Tänzern und den drei Tanzreihen.“ Denn mit einem Musiker ließ sich eine ebenbürtige kreative Zusammenarbeit nicht herstellen.

Der erhoffte Erfolg bleibt aus. Schlemmer sieht ein, dass es der „Personenkult (war,) den ich getrieben habe, der den Mißerfolg brachte.“ Das gute Verhältnis mit Burger und Hötzel ist dahin. So kommt es nur noch zu wenigen Aufführungen wie denen 1923 am Bauhaus in Weimar und Dresden. Während man am Bauhaus solchen Bühnenexperimenten durchaus aufgeschlossen gegenübersteht (Schlemmer ist dort inzwischen Meister der Bühnenklasse), endet das Dresdner Gastspiel „mit einem Fiasko, das den endgültigen Bruch mit den Burgers“ herbei führt. Man trennt nicht nur sich, sondern auch die Kostüme – durch drei. Auch das erschwert letztlich weitere Aufführungen und damit den Erfolg des Werkes.

Lediglich 1926 wird eine reduzierte Neufassung in Donaueschingen aufgeführt, und in Paris nimmt Schlemmer mit dem Ballett 1932 am Concours chorégraphique teil, wo es den 6. Platz erringt. Den 1. Platz belegte der Grüne Tisch von Kurt Jooss. Dann versinkt das Werk in einen Dornröschen-Schlaf. Mitverantwortlich dafür ist auch – Peter zeigt es auf – das Verhalten einiger Schlemmer-Erben, das eine spätere Verbreitung und Popularisierung des Triadischen Balletts behindert hat; Rechtsanwalt Peter Raue wird in dem Zusammenhang mit der Bezeichnung „Verhinderungsmaschinerie“ zitiert.

Wissenschaftliches Mammutwerk

Die tanzhistorische Kontextualisierung von Werk-, Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte ist so anschaulich wie intensiv. Die akribische Herleitung der Inspirationen und Vorlagen für Kostüme, Masken, Bewegungen und Raumwege und vor allem das Beibringen sämtlicher Belege dazu ist in wissenschaftlich-methodischer Hinsicht vorbildlich. So kommt Peter von Kinderspielzeug – im Wesentlichen Puppen verschiedenster Herkunft – über Figuren der Comedia dell‘arte bis zum Küchen-Utensil Schneebesen. Man hat den Eindruck, keine auffindbare Quelle ist ausgelassen. Seit 35 Jahren hat Peter Materialien für dieses Projekt zusammengetragen und gehofft, dass „Forscher:innen, die sich für weitere archivische Quellen begeistern könnten und nicht nur für ein ,Re-Reading‘ des Altbekannten“ kämen. Als diese Erwartung enttäuscht wird, schreibt er das Buch selbst.

Peter stellt Vorläufer und Parallelen sowohl im Tanz als auch in der Bildenden Kunst dar. Man möchte von Detektiv-Arbeit sprechen, wenn aufgelistet wird, wo überall sich Schlemmer Anregungen für seine Kostümentwürfe geholt haben könnte. Anschaulich wird Peters Argumentation durch die beigefügten Abbildungen, bei denen die stupende Ähnlichkeit der Anregungen mit den Kostümen des Balletts förmlich ins Auge springt.

Trotz der Offenlegungen aller Inspirationen sowie des schwierigen Charakters und Verhaltens von Schlemmer bleibt der Autor stets sachlich und bei der Suche nach Erklärungen auch von Verständnis geleitet. Dessen Bodenskizzen zu den Raumwegen des Balletts interpretierend, schreibt er: „Schlemmer erlag, bei einem bildenden Künstler vielleicht naheliegend, dem Reiz des Grafischen.“

Das Buch ist keine Abrechnung mit Schlemmer, aber durchaus eine Rehabilitierung von Burger und Hötzel. Peter schreibt nicht nur flüssig und verständlich, sondern durchaus auch mit Humor und mit einer Sachkenntnis, die ihresgleichen sucht. Porträts in Text und Bild sämtlicher Beteiligten, die vielen Abbildungen, ungezählte Rezensionen und Schlemmers bühnentheoretische Schriften machen dieses Buch über den Gegenstand des Triadischen Balletts hinaus wertvoll und richtungsweisend.


Frank-Manuel Peter: „Oskar Schlemmer und der Tanz“. Hrsg: Deutsches Tanzarchiv Köln. Wienand Verlag Köln 2023  640 S., ISBN 978-3-86832-628-4