Buch: NAHAUFNAHME Christopher Rüping

Vasco Boenisch und Malte Ubenauf haben ein Buch über Christopher Rüping herausgegeben. Es bietet in vielen Gesprächsformaten detaillierte Einblicke in den Arbeitskosmos dieses Regisseurs.

Ein Buch über einen Regisseur, der gerade mal 38 Jahre alt ist? Der hoffentlich längst nicht am Ende seines Schaffens angekommen ist? Ein Buch, das fast ausschließlich aus Gesprächen mit diesem Regisseur und Menschen, mit denen er zusammenarbeitet(e) besteht? Ohne kritische Einordnung von außen? Ohne eine Perspektive von außerhalb der Theater, an denen er inszeniert(e)?

Die Dramaturgen Vasco Boenisch und Malte Ubenauf haben genau das gemacht: „Nahaufnahme Christopher Rüping – Gespräche, Begegnungen, Material“ ist eine Sammlung von Gesprächen, die eigens für dieses Buch geführt wurden. Gespräche der Herausgeber mit dem Regisseur, Gespräche zwischen dem Regisseur und Kolleg:innen und ein verschriftlichtes Mammut-Zoom-Meeting, das sie „Daydrinking“ nennen und nochmal zurück an die verschiedenen Theater führt, die Rüpings Arbeit ermöglichten und prägten: Deutsches Theater Berlin, Schauspiel Frankfurt, Schauspiel Stuttgart, Schauspielhaus Zürich, Thalia Theater Hamburg, Schauspielhaus Bochum und Münchner Kammerspiele. Dazu gibt es Materialien zu Bühnenbildern und Kostümen.

Sind wir hier in einer Dramaturgiesitzung?

Die Gespräche gehen sehr tief, sehr ins Detail, manchmal zu sehr. Da fühlt sich die Leserin immer mal wieder, als wäre sie versehentlich in einer Dramaturgiesitzung oder einer Konzeptionsprobe gelandet. Beinahe minutiös werden inszenatorische Entscheidungen und Irrwege auf den Proben nachempfunden und nachbesprochen. Was hie und da spannend und aufschlussreich ist, verkommt immer wieder zu Bubble Talk und entzaubert vielleicht sogar manches Theatererlebnis, wenn jede produktionsinterne Diskussion nach außen getragen wird. Wer Christopher Rüping nicht oder weniger gut kennt, wird hier zwar den Eindruck gewinnen, dass das ein kluger, reflektierter Regisseur ist, der mit seinem Team und Ensemble auf Kontinuität und Vertrauen setzt – allein, der Zauber, der seinen besten Inszenierungen innewohnt, wird sich durch diese Arbeitsgespräche eher nicht übertragen. Dazu wäre ein Blick von außen nötig gewesen, eine kritische Reflexion seiner Arbeit.

Es lassen sich in diesem Buch allerdings durchaus viele kleine Schätze finden wie zum Beispiel das Gespräch zwischen Christopher Rüping und Andrea Breth. Hier wird die Innensicht verlassen, hier tauschen sich zwei grundverschiedene Regie-Persönlichkeiten über ihre Arbeitsweisen und Ansätze aus, philosophieren grundsätzlich über ihren merkwürdigen und herausfordernden Beruf – und entdecken in all ihrer Verschiedenheit einige Gemeinsamkeiten. Auch die anderen Gespräche mit Menschen außerhalb seines Arbeitskosmos (der Philosophin Henrike Kohpeiß, den Regisseur:innen Susanne Kennedy oder Toshiki Okada) erweitern die Perspektive und öffnen den Blick aufs große Ganze.

Der Zeitpunkt, ein Zufall?

Am Ende des Buchs sagt Rüping – und er weiß nicht, ob es am vielen Sprechen über seine Arbeit liegt, oder ob der Zeitpunkt ein Zufall ist: „Ich habe das Gefühl, das gerade etwas zu Ende geht. Eine Phase. Und dass eine neue beginnt, von der ich noch nicht weiß, wie sie aussehen wird.“ Mit dem Theater aufhören will er definitiv nicht. Zum Glück. Wir dürfen gespannt sein. An Rüpings Fantasie, der visionären und emotionalen Kraft vieler seiner Arbeiten ändert sich hoffentlich nichts. „Ich setze mich im Theater nicht nur damit auseinander, wie die Welt gerade ist“, benennt er einen seiner Grundsätze, „sondern auch damit, wie sie sein könnte.“