Buch: „Ich schwimme gegen den Strom“
Text:Ute Grundmann, am 3. September 2020
Martin Luther als fürstenhörige Marionette? Das darf nicht sein, auch nicht „nur“ in einem Theaterstück! So dachten in den frühen 70er-Jahren nicht nur Menschen der Kirche, nachdem Dieter Forte den Reformator und Volkshelden eben so auf die Theaterbühne gestellt hatte. „Luther & Münzer oder Die Einführung der Buchhaltung“ hieß seine besondere Historiensicht, die bei der Uraufführung in Basel ebenso Skandal machte wie später im rheinisch-katholischen Köln.
„Luther & Münzer“ 1982 in Rostock © Ursula Graf
Einen Skandal, der sich um Inhalte, nicht um Notizblöcke drehte. Nachzulesen ist das jetzt in einem klugen und verdienstvollen, von Karl-Heinz Bonny herausgegebenen Erinnerungs- und vor allem Lesebuch, das Dieter Forte, 1935 in Düsseldorf geboren, in all seinen Facetten zeigt.
„Irgendwann verging uns das Lachen“, erinnert sich Eva Pfister, die Eltern „standen auf und gingen“. Als 17-Jährige erlebte die spätere Theaterkritikerin die „Luther“-Uraufführung in Basel, „ein Polit- und Wirtschaftskrimi, der als Satire daherkommt“, heute „so frisch und packend“ wie damals. Dicht und analytisch beschreibt Pfister die Reaktionen auf Stück und Dramatiker, der von der Kritik vom „neuen Autor des deutschsprachigen Theaters“ zur „Talsohle des jungen deutschen Dramas“ durchgereicht wurde. Noch 2012, 40 Jahre später, sagte Forte, der „Luther“-Skandal sei „politisch herbeigeredet“ worden. „Politiker empörten sich, meist waren sie noch nicht mal in der Vorstellung gewesen.“ Das kommt einem bekannt vor.
Um dieses zentrale Thema (dem sich auch Karlheinz Braun und Wolfgang Niehhüser in klugen Aufsätzen widmen widmen) reiht und rankt Herausgeber Karl Heinz Bonny ein sehr besonderes Schriftstellerleben. Krieg und Bombennächte bescherten Forte Asthma und Ängste, die ihn nie wieder verließen – und den Lesern tief bewegende Texte. Seine „Tetralogie der Erinnerung“ (1992 – 2004 erschienen) nennt Enno Stahl zu Recht „weit mehr als eine der üblichen Familienchroniken“.
Nachzulesen ist sein Hör-„Sprachspiel“, dazu ein „Düsseldorfer Volksstück“, weitab von „Schneider Wibbel“. Analysiert wird außerdem Fortes verwegener Versuch, im letzten Teil der mit „Luther“ beginnenden Trilogie, die Massenmörder Adolf Hitler und Peter Kürten sich ähnelnd nebeneinander zu stellen. Und Lothar Schröder lädt, über das Gesamtwerk schreibend, zum (Nach-) Lesen ein.
Dieter Forte 2012 © Jürgen Bauer
Perfekt ist der schmale Band nicht: Das Cover à la Warhol, inhaltliche Wiederholungen, der Heidenreich-Satz „Nichts ist dem mehr hinzuzufügen“, dem drei Seiten folgen – da hätte ein gutes Lektorat geholfen. Doch die Verdienste überwiegen: Fortes Textarbeit in Wort und Bild; ein Skandälchen um Karlheinz Stroux, der – angeblich auf Betreiben der Kirche – lieber Weiss‘ Trotzki als Fortes Luther ins Düsseldorfer Schauspielhaus brachte; eine Süverkrüp-Radierung als Kollegenlob; ein bißchen Künstlerklatsch. Vor allem aber unzählige Arbeiten des 2019 verstorbenen Autors, teils zum ersten Mal veröffentlicht. So auch diese wunderbare Sentenz: „Versunken in einem Buch, das ist ein schöner Satz.“