„Art against War“ am Schauspiel Köln
Foto: „Art against War“ im Depot 2 am Schauspiel Köln © Schauspiel Köln Text:Andreas Falentin, am 3. März 2022
Er kann nicht aufhören zu reden. Der Theaterregisseur Andrej Mai sitzt in einem Keller in der von russischen Truppen eingekesselten und mittlerweile wohl auch kontrollierten Stadt Cherson. Wir sehen in sein Gesicht, das von einem Handy-Display auf die Leinwand projiziert wird. Wir sehen und hören seine Erschütterung, seine Verzweiflung, seine Wut, seine Appelle an uns. Er schildert uns die Gräuel, die er erlebt hat in den letzten Tagen, dass ein Freund auf offener Straße erschossen worden ist – bei dem Versuch, Lebensmittel zu kaufen. Durch Andrej Mais Augen und Worte erreicht uns die menschengemachte Katastrophe Krieg mit furchtbarer Wucht.
Es ist das intensivste Erlebnis eines fordernden und wichtigen Abends am Schauspiel Köln, den die Musikerin Mariana Sadowska und der Theatermacher André Erlen spontan organisiert haben. Wir erfahren viel, was wir nicht wussten, etwa, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung in Russland so gut wie nicht mehr existiert. Offenbar steht dort mittlerweile jede Art von Demonstration unter Strafe.
Vor allem vermitteln sich zwei Erkenntnisse: Ja, der Westen – wir – hat Schuld auf sich geladen. Aber nicht, wie in einigen Kreisen immer wieder behauptet wird, weil man den russischen Präsidenten Putin irgendwie schlecht behandelt hat, sondern weil man 2014 nach der Annexion der Krim und den Besetzungen in der Ost-Ukraine letztlich einfach wieder zur Tagesordnung übergegangen ist und sich auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland konzentriert hat.
Die andere, vielleicht größere Erkenntnis: Hier kämpft ein Land nicht „nur“ um seine Freiheit, sondern auch um seine kulturelle Identität, die die Menschen in der Ukraine offenbar sehr intensiv miteinander verbindet. Putin hat dies in seiner Kriegs-Rechtfertigungs-Rede geleugnet. Er hat gelogen. Im Schauspiel Köln hören wir Menschen sprechen, es wird Literarisches vorgetragen, Mariana Sadowska und Tamara Lukashewa singen Lieder in ukrainischer Sprache, gemeinsam mit großartigen Musikern. Vieles ist fremd, aber berührt – und klingt sehr eindeutig auch europäisch. Fragen wir uns ehrlich: Haben wir die Ukraine bisher als europäische Kulturnation wahrgenommen? Der Schriftsteller Andrej Kurkov fordert uns an diesem Abend auf, uns mit der Kultur und Geschichte der Ukraine zu beschäftigen, um sie besser zu verstehen. Denn nur, wen man versteht, dem kann man wohl auch wirklich helfen.
Aber was kann helfen, in dieser furchtbaren Situation in der Ukraine? Was können wir hier tun? Niemand behauptet an diesem Abend, ein Mittel zu kennen. Wir können nur ehrlich sein, empathisch und so aktiv wie möglich. Und vor allem nicht wegschauen.