Der Opernchor steht in schwarzer Abendgarderobe und Sonnenbrillen im Hintergrund. Vorne steht ein Mann, um die Hüfte ein weißes Tuch gehüllt.

Ein bisschen Bi schadet nie

Wolfgang Amadeus Mozart: Don Giovanni

Theater:Komische Oper Berlin, Premiere:27.04.2025Regie:Kirill SerebrennikovMusikalische Leitung:James GaffiganKomponist(in):Wolfgang Amadeus Mozart

Kirill Serebrennikov inszeniert an der Komischen Oper Berlin Mozarts „Don Giovanni“ und dreht dabei gleich an mehreren Stellschrauben: Don Giovanni ist bi, Donna Elvira ein Elviro und der Commendatore quasi doppelt vorhanden. Ob das aufgeht?

Dass Don Giovanni „Ja“ zum Leben sagt und das geradezu mit seiner Selbstaufopferung als Liebhaber für die Frauen aller Altersgruppen, Stände und Nationalitäten beweist, gehört zu seiner bekannten Jobbeschreibung als Verführer par excellence. Regisseur Kirill Serebrennikov fügt dieser Übersicht, über die man dank des von Leporello akribisch geführten Registers zumindest quantitativ im Bilde ist, noch zwei Nuancen hinzu. Im letzten Teil der Da Ponte-Trilogie des Russen an der Komischen Oper steht sein Don auch noch auf Hochschwangere und auf Männer. Hier ist Zerlina (Penny Sofroniadou) eine Krankenschwester, bei der die Wehen jeden Moment loszugehen scheinen. Die ihr Kind in der Pause tatsächlich bekommt und um dessen Windeln sich dann ihr Masetto (Philipp Meierhöfer) ganz beflissen kümmert.

Geschlechtertausch mal andersrum

Der Clou des Abends ist freilich, dass – frei nach dem Motto ein bisschen bi schadet nie – die zwar längst abservierte, aber energisch treu an Don Giovanni festhaltende Donna Elvira zu einem Don Elviro geworden ist. Geschlechtertausch mal andersrum als es die sich abnutzende Bühnenmode heute immer noch als progressiv suggeriert. Dieser Elviro hat zwar eine gute Freundin an seiner Seite (und bedient nicht nur da ein gängiges Klischee), erweitert aber vor allem als zwischenzeitlicher Auchmal-Liebhaber die Zielgruppe Don Giovannis. 

Wobei man sich das beim darstellerischen Sexappeal, mit dem Hubert Zapiór als Don Giovanni und Tommaso Barea als Leporello ihre zupackende, höchst überzeugende vokale Jugendlichkeit komplettieren, auch in dieser Konstellation vorstellen könnte. Dass es das erste Mal in der Rezeptionsgeschichte der Oper der Opern einen Don Elviro geben soll, klingt etwas verrückt, aber man ist ja (wie der Dirigent im Vorfeld meinte) in Berlin. Außerdem steht mit dem Brasilianer Bruno de Sá ein Sopranist zur Verfügung, der das mit selbstbewusster, ganz eigener Verve nicht nur in den Spitzentönen, sondern auch darstellerisch überzeugend hinbekommt.

Ausgereizter Einfallsreichtum

Die lässig respektlose Kreativität Serebrennikovs, der wie immer auch sein eigener Ausstatter ist, geht beim Personaltableau noch weiter. Neben Elviros Freundin Donna Barbara hat er auch den Commendatore und Don Giovanni durch ihre Seelen Alter Egos verdoppelt. 

Während der profund tönende Tijl Faveyts in der kleinsten der sperrholznüchternen neongerahmten Bühnenkisten in fernöstlicher Aufmachung singend thront, hat die Seele des hier eher im Abwehrgetümmel unabsichtlich ermordeten Vaters von Donna Anna mit Norbert Stöß nicht nur eine eigene Gestalt, sondern auch eine Sprechstimme. Damit steuert er mikroverstärkt immer wieder Weisheiten aus dem Tibetanischen Totenbuch über das Sterben als Übergang vom Reich der Lebenden in das der Toten bei und ist damit quasi für den Überbau des Regieansatzes zuständig. Was er mit Routine ohne übertriebenes Pathos absolviert, um einmal auch die Leiche zu spielen. Der Tänzer Fernando Suels Mendoz performt den sterbenden respektive toten Don Giovanni parallel zu dessen Bühnenpräsenz.

Für Don Giovanni gibt es schon während der Ouvertüre eine Trauerfeier am offenen Sarg. Mit all dem Knatsch, der fällig wird, wenn die Zahl der trauernden Witwen (inklusive eines Witwers) überhand nimmt. Als sich herausstellt, dass der Tote noch gar nicht tot ist, beginnt ein Spiel der Erinnerungen und Visionen Don Giovannis.

Ernsthaft witzig

Das Programmheft gruppiert die Szenenfolge in verschiedene „Bardos“, sprich Zwischenzustände, der Erinnerung, der Träume, Visionen schließlich der Schwelle zum Tod. Anstelle des Schluss-Sextetts folgt Mozarts Requiem. Die eher oratorische Formatio, in der der Chor hier aufmarschiert, wird durch drei Tänzer immer wieder aufgemischt. Wild und ausgelassen, aber auch als Ballett der Gerippe. Sie sind als „Geister und Gedankenformen“ von Anfang an dabei und sorgen dafür, dass ja keine szenische Leerstelle entsteht. Bis schließlich Don Giovannis Seelen Alter ego am Bühnenturm in der Horizontalen nach oben, vermutlich gen Himmel schreitet.

Das klingt verkopfter, als es auf der Bühne wirkt. Serebrennikov gelingt es nämlich, auch den Witz des Ganzen in fast jeder Szene herauszukitzeln. Sozusagen die Bezeichnung der Oper als „Dramma giocoso“, als heiteres Drama, gekonnt ernst zu nehmen. Das Ernste also mit Leichtigkeit und Witz zu servieren. Dabei geraten Adela Zaharia ihre Auftritte als Donna Anna so großformatig, dass Agustín Gómez als Don Ottavio einfach in ihrem Schatten bleiben muss.

Einen Lacher (der eigentlich nicht zum Lachen ist) gibt es, als eine Einblendung darüber informiert, dass dessen „Il mio tesoro, wegen der Einsparungen im Berliner Kulturetat gestrichen werden musste. Auch da liegen szenischer Witz und Ernst dicht beieinander. James Gaffigan und das Orchester der Komischen Oper lassen sich durch die gesprochenen Unterbrechungen nicht von ihrem flotten zupackenden Tempo abbringen. Sie haben so einen erheblichen Anteil daran, dass die Komische Oper nicht nur einen hochambitionierten, sondern auch höchst unterhaltsamen „Don Giovanni“ zu bieten hat.